Glück des Nichterlebten, z. B. von Katastrophen wie Erdbeben
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Es gibt eine besondere Form des Glücks, das Glück des Nichterlebten, die sich vor allem durch die Abwesenheit von Glückshemmnissen auszeichnet.

Es gibt Tage, an denen das Leben leise bleibt. Unaufgeregt, fast unspektakulär. Ich sitze am Fenster, sehe dem gleichmäßigen Treiben auf der Straße zu. Da, ein Kind balanciert auf dem Bordstein, ein älterer Herr schiebt behutsam seinen Rollator, ein Paar passiert das Haus, lacht, auf dem Weg zum Park. All das stellt nichts Dramatisches, keinen großen Wendepunkt dar – und doch spüre ich in solchen Momenten manchmal ein tiefes, ruhiges Glück. Vielleicht ist es hinter all dem Vordergründigen hintergründig eine Ahnung vom Glück dessen, was nicht geschah.

Ich habe keinen Krieg miterlebt (ein Glück!). Keine Sirenen, keine nächtlichen Fluchten, keine Zerreißproben der seelischen Festigkeit. Manchmal sage ich mir: Was für ein Privileg! (Auch wenn derzeit eine politische Mehrheit dafür kämpft, es zu verwirken.) Nicht in einem Land zu leben, das von beständiger Gewalterfahrung gezeichnet ist. Da ist eine Dankbarkeit dafür, Derartiges nicht erlebt zu haben.

Dieses leise Glück ist auch ein Glück des Kontrasts, ein Kontrastglück. Wie das Glück, nie eine schwere Krankheit durchlitten zu haben, nie monatelang auf Diagnostiktermine gewartet zu haben, nicht das Gefühl kennen zu müssen, vom eigenen Körper quasi verraten zu werden.

Ich denke auch an jene kleinen, kaum bewussten Auslassungen. Entscheidungen, bei denen ich intuitiv „Nein“ sagte. Eine ausgelassene Veränderung, die sich im Nachhinein als fatal herausgestellt hätte. Eine Beziehung, die ich nicht einging, die später in einen Abwärtsstrudel hineingetaumelt wäre. Ein Jobangebot, das ich ausschlug – Monate später hörte ich, wie trostlos die Tätigkeit gewesen wäre. Kein Kalkül, kein Heldentum, oft gar nicht bewusst. Aber doch irgendwie Glück.

Das Glück des Nichterlebten ist unauffällig. Kein Konfettiregen, kein Siegestanz. Eher wie ein zartwarmer Wind, der die Vorhänge hebt und dabei doch fast unbemerkt bleibt. Es ist die Abwesenheit von unnötigem Schmerz, von gravierenden Unlusterfahrungen, von innerer Erschütterung – ganz im Sinne Epikurs. Das Glück des Gewahrwerdens des Nichteingetretenen.

Kennst auch du das Glück des Nichterlebten?

Bild: Pixapay

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  • André Martens, Glücksquellen

    André Martens ist studierter Philosoph (M. A.) und Psychologe (M. Sc.) mit mehrjähriger Erfahrung im Bereich der klinischen Psychologie. Er ist der Gründer des Blogs gluecksquellen.de. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich privat und professionell mit dem Thema Glück.

Ein Gedanke zu „Vom Glück des Nichterlebten“
  1. So war mein Leben. Nicht ganz groß, aber auch nicht ganz klein. Schön wars, ein, glückliches Leben. Bin jetzt 89 Jahre alt. Noch paar glückliche Jahre wären schön. Na, solche Jahre wie oben beschrieben.

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