Glück und Frieden, untergehender Panzer, Schild

In einer Zeit, in der immer mehr Menschen von Kriegstüchtigkeit sprechen, bei der Nennung deutscher Rüstungskonzerne ins Schwärmen geraten und eine Rückkehr zur Wehrpflicht fordern, ist es leider notwendig, den Frieden wieder in den Mittelpunkt zu rücken, den einzigen verlässlichen Rahmen des menschlichen Glücks.

Innerer und äußerer Frieden

In der Antike, einer sicherlich alles andere als friedlichen Zeit, verknüpften zahlreiche Philosophen das menschliche Glück mit einem Zustand inneren Friedens. So zum Beispiel Epikur und die Stoiker. Das Thema des äußeren Friedens und seine Bedeutung für das Glück wurde allenfalls gestreift. Nach Jahrhunderten und Jahrtausenden, in denen sich Menschen mit schöner Regelmäßigkeit teils aufs Grausamste abmetzelten und vernichteten, scheint mir der äußere Frieden ein in der Glücksforschung weiterhin unterbelichtetes Thema zu sein. So bleiben nach meinem Screening alle zehn Fachbücher zum Thema Glück, die ich in einem anderen Artikel vorgestellt habe, stumm zum Thema Glück und Frieden.

Die Gräuel des Krieges: Ein Beispiel

Zur Illustration der potenziellen Auswirkungen des Krieges, dem Gegenteil des Friedens, ein historisches Beispiel. Wikipedia zum US-amerikanischen Atombombenabwurf auf Hiroshima am 06.08.1945: „70.000 bis 80.000 Menschen waren sofort tot. Bei Menschen, die sich im innersten Stadtkern aufhielten, verdampften buchstäblich die obersten Hautschichten. Der gleißende Blitz der Explosion brannte Schattenrisse von Personen in stehengebliebene Hauswände ein, ehe die Menschen von der Druckwelle fortgerissen wurden. (…) Viele, die vor der extremen Hitze an den Fluss geflohen waren und von kontaminiertem Wasser tranken, hatten daraufhin Haarausfall, bekamen purpurrote Flecken am ganzen Körper und verbluteten dann an inneren Verletzungen. Insgesamt starben bei dem Abwurf samt den Spätfolgen bis 1946 unterschiedlichen Schätzungen zufolge 90.000 bis 166.000 Menschen.“* (Zuletzt abgerufen am 19.04.2024). Zum (willkürlichen) Vergleich: „Das US-Militär registrierte seit dem 8. Juni 1956 exakt 58.220 in Vietnam getötete US-Soldaten.“ (Zuletzt abgerufen am 19.04.2024).

Da wird einem doch ganz warm ums Herz, dass zurzeit EU-eigene Atomwaffen diskutiert werden.

Natürlich ließen sich unzählige weitere Beispiele aus fast jedem anderen Staat unseres so schönen blauen Planeten anführen.

Unter äußerem Frieden verstehe ich im Folgenden eng den Frieden zwischen Nationen, Völkern u. dgl. Es ließe sich argumentieren, dass äußerer Frieden viel mehr als das umfasst (z. B. sozialen Frieden und soziale Gerechtigkeit, tragfähige Rechtsstrukturen, multilaterale Abkommen &c. pp.).

Glück und Frieden?

Meine in diesem Artikel vertretene These lautet: Glück und Frieden bedingen einander. Es kann kein beständiges Glück ohne den Rahmen eines äußeren, politischen Friedens geben. Kriegszeiten sind Unglückszeiten. Vielleicht nicht für jedes Individuum, aber für die Allgemeinheit.

Warum fördert Frieden Glück? Weil er die optimalen Rahmenbedingungen für die Befriedigung unserer Grundbedürfnisse darstellt. Zum Beispiel: Der Aufbau sicherer Bindungen fällt leichter. Menschen haben besseren Zugang zu überlebenswichtigen Ressourcen, aber in wohlhabenderen Gesellschaften auch mehr Raum und Gelegenheit zur Befriedigung und Verfolgung spezieller Bedürfnisse (z. B. nach Sinnerleben und Selbstverwirklichung). Frieden schafft mehr Verlässlichkeit, Orientierung, Kontrolle und Selbstwirksamkeitserleben als Kriegszustände. In Friedenszeiten können wir unser Bedürfnis nach Lustgewinn leichter befriedigen. U. v. m.

Frieden ist das natürliche Habitat des Glücks.

Ich stelle eine Hypothese auf: Glückliche Menschen sind im Mittel friedfertiger, da „befriedigter“. Vielleicht wird oder wurde diese Hypothese ja empirisch untersucht.**

Und wie sieht es mit dem Krieg aus?

Krieg und Glück

Ich erinnere mich noch dunkel an eine Studie, die uns im Studium präsentiert wurde. Ich hoffe, ich bekomme den Inhalt noch zusammen (sollte jemand zufällig die Originalstudie kennen, freue ich mich über einen Hinweis in den Kommentaren unten). Das subjektive Wohlbefinden beim Sex wurde als Referenzpunkt (sagen wir: = 100) gewählt und verschiedene Faktoren und Erfahrungen, die augenscheinlich zum subjektiven Wohlbefinden (Glück) beitragen, hierzu in Beziehung gesetzt (also größer, gleich oder kleiner als 100). Das erstaunliche empirische Ergebnis, soweit ich es erinnere: Männer sind im Mittel während der Zeit ihres Militär-/Wehrdienstes (deutlich) glücklicher als beim Sex, ja sogar um einiges (Gruppenzugehörigkeit, Ordnung/Orientierung, „Abenteuer“, „gebraucht werden“, Abnabelung vom Elternhaus, …?). Dieser war gewissermaßen „der Glücksfaktor“ schlechthin …

Nun gut, untersucht wurde meines Wissens der Wehr- bzw. Militärdienst und nicht das Wohlbefinden während akuter Kriegseinsätze (sozusagen Kriegsdienste). Anzunehmen ist, dass dieser in aller Regel, zum Glück, nicht mit Kriegseinsätzen einhergeht. Aber wie sieht es im Krieg aus?

Macht Krieg glücklich?

Gemäß meiner Glücksdefinition schließt sich folgende Frage an: Befriedigt ein Krieg unsere Grundbedürfnisse? Vielleicht im Einzelfall, das will ich nicht ausschließen. Im Allgemeinen bedeutet Krieg allerdings einen Zustand mit massiv negativen Auswirkungen für unsere Grundbedürfnisse. Verlust von Kontrolle (man denke an eine Nacht im Luftschutzbunker oder an die Minuten nach dem Einsatz von ABC-Waffen, wenn man denn überhaupt noch lebt), Unlusterleben (Hunger, Tod und Verlust, Verletzungen, Ängste, Traumatisierung, usw.), Verlust an Bindung(en) (ausgelöschte Familien, Freunde usw.), Selbstwertkrisen (Thema: Schuld, Scham, usw.).

Aber was ist mit den langfristigen, potenziell positiven Auswirkungen von „erfolgreichen Kriegen“? Zum Beispiel: die Etablierung einer demokratischen Grundordnung, Förderung von Menschenrechten, Geschlechtergerechtigkeit usw.? Diese dienen oft als Gründe für das Führen eines Krieges. Ja, die Auswirkungen eines Krieges mögen vielleicht im Einzelfall in Summe positiv sein, das macht Krieg aus logischen Gründen aber nicht per se zu einem Glücksfaktor. Und außerdem bringen die besagten positiven Auswirkungen vielen Menschen nichts mehr. So etwa der Zivilbevölkerung in Hiroshima, die ihr Leben verlor (mutmaßlich vor dem Hintergrund einer kruden, im weitesten Sinne utilitaristischen Begründung).***

Fazit: Glück und Frieden gehören zusammen

Äußerer (wenn man so will: politischer) Frieden ist meines Erachtens ein völlig unterbelichtetes Thema in der „westlichen Glücksforschung“. Diese fokussiert im Bereich der Psychologie vor allem das Individuum, während die politisch-soziologische Glücksforschung nach meiner Recherche ebenfalls fast immer andere Schwerpunkte setzt. Das verwundert mich, denn nach meiner Auffassung gehen Glück und Frieden Hand in Hand, bedingen einander, kann es es kein beständiges Glück im Unfrieden, Krieg, bewaffneten Konflikt usw. geben. Glück fördern bedeutet, Frieden zu fördern, nicht nur den inneren, der bereits seit der Antike einen prominenten Platz in der menschlichen Auseinandersetzung mit dem Glück einnimmt, sondern auch den äußeren.

Als „Inspiration“ zum Thema empfehle ich u. a. folgende Filme bzw. Dokumentationen (besser nicht kurz vorm Schlafengehen anschauen):

  • 20 Tage in Mariupol
  • Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb
  • Full Metal Jacket
  • Apocalypse Now
  • Im Westen nichts Neues

Hoffen wir mal, dass in den nächsten Tagen und Wochen nicht (abermals) derartige Katastrophen eintreten bzw. genauer: gemacht werden. Ich bin mir leider ziemlich sicher, dass von den „Entscheidern“ niemand auf unsere individuellen Bedürfnisse und Leben Rücksicht nehmen wird.

Anmerkungen

Mir ist bewusst, dass einige Leser einwenden mögen, Glück sei nicht das einzige Gut des Menschen, vielleicht nicht einmal das wichtigste. Freiheit, Gerechtigkeit usw. seien möglicherweise wichtiger und könnten manchmal leider nur durch Kriege verteidigt oder hergestellt werden. Bzw. ohne Kriege würden uns „egoistische Staaten“ und Tyrannen überfallen, ausbeuten und vielleicht auch unser aller Leben ausradieren. Darüber ließe sich moralphilosophisch und empirisch informiert diskutieren; das relativiert jedoch meines Erachtens nicht meine Thesen zum Verhältnis von Glück und Frieden/Krieg.

Nagasaki

* An dieser Stelle sei natürlich nicht der zweite Atombombenabwurf der USA auf Nagasaki am 09.08.1945 mit geschätzt bis zu 80.000 Toten und zahlreichen verletzten Menschen vergessen. Aufgrund des zeitlichen Abstands zwischen diesen beiden humanitären Katastrophen betrachte ich die Ereignisse getrennt voneinander, auch wenn sie zusamengehören.

Studien zum Verhältnis von Glück, Krieg und Frieden

** Zum Beispiel Ed Diener und William Tov (2007) fanden heraus, dass subjektives Wohlbefinden (SWB, Glück) positiv mit u. a. einem Vertrauen in die Regierung und die Streitkräfte sowie einer größeren Bereitschaft, für das eigene Land zu kämpfen, korreliert war, wobei zahlreiche Moderatorvariablen zu beachten seien. Eine Aussage der Autoren lautet, dass SWB ein entscheidendes Element bei der Aufrechterhaltung von Frieden im Verlauf der Zeit sei. Die konkreten Konzeptualisierungen der Autoren erlauben zumindest nach meiner Lesart keine klare Aussage zu dem Ausmaß der Friedfertigkeit glücklicher Menschen.

Eine interessante Studie zum Thema stammt von Bruno S. Frey (2011). Der Autor setzt sich kritisch mit Aussagen wie Krieg bringt Glück (manche Menschen fühlen sich energetisiert usw.), Menschen gewöhnen sich an Krieg (vgl. die hedonistische Tretmühle) und Das Glück der Toten ist irrelevant auseinander. Er konstatiert eine allgemein sehr dürftige Studienlage.

Kontextinformationen der Atombombenabwürfe

*** Bei Wikipedia finden wir in diesem Zusammenhang folgende interessante Sätze (zuletzt abgerufen am 20.04.2024): „40.000 Militärangehörige waren in Hiroshima stationiert. Doch die meisten der etwa 255.000 Einwohner waren Zivilisten, davon zehn Prozent koreanische und chinesische Zwangsarbeiter. Spaatz hielt Hiroshima für das am besten geeignete Ziel, da es als einzige der Städte, die zur Auswahl standen, keine Kriegsgefangenenlager hatte. Nur einige US-amerikanische Kriegsgefangene und rund ein Dutzend Deutsche befanden sich dort. Und: „Flugblätter, die in den Monaten vorher über 35 japanischen Städten, darunter Hiroshima und Nagasaki, abgeworfen worden waren, hatten deren Bevölkerung vor kommenden Luftangriffen gewarnt und Zivilisten aufgefordert, die Städte zu verlassen. Sie enthielten aber keinen Hinweis auf Atombomben und deren Wirkung.

Auch interessant (ebendort): Vorübergehende Überlegungen, die fertigen Bomben nur als „Warnschuss“ über unbesiedeltem japanischem Gebiet zu zünden, wurden nicht weiter verfolgt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die USA nach dem Trinity-Test nur noch über zwei einsatzfertige Bomben verfügten. (Meine Hervorhebungen). Der zweite Satz impliziert einen psychologischen Rückschaufehler. Die nicht sofortige Kapitulation Japans bzw. zeitliche „Verschleppung“ nach dem 06.08.1945 und das Aufstellen von Bedingungen für eine Kapitulation durch das so genannte japanische Kriegskabinett, machten aus US-Perspektive einen zweiten Abwurf notwendig. Implikation: Ein einzelner „Warnschuss“ über unbesiedeltem Gebiet (plus einige Tage Verhandlungen) hätte nicht gereicht. Wir wissen es nicht und werden es niemals wissen …

Foto: Pixabay

Von André Martens

André Martens ist studierter Philosoph und Psychologe mit mehrjähriger Erfahrung im Bereich der klinischen Psychologie. Er ist der Gründer des Blogs gluecksquellen.de. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich privat und professionell mit dem Thema Glück.

Ein Gedanke zu “Glück und Frieden”
  1. „Apocalypse Now“ Dieser Film, vor vielen, vielen Jahren gesehen, steht mir immer noch vor Augen. Das Unmenschlichste, das Grauenvollste, das Perverseste, aber schlimmer war, die „Banalität des Bösen“ wurden hier gezeigt. Der Drehbuch- Schreiber, der Regisseur, die Darsteller sowie auch ich werden dieses Kriegsdrama nie vergessen. Ich bin dann in die DVG-VK Deutsche Friedensgesellschaft- Vereinigte Kriegsdienstgegner e.V. Hamburg eingetreten, um meinen kleinen Beitrag für den Frieden zu leisten. Ich habe 75 Jahre glücklich in einem friedlichen Deutschland gelebt.

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