Epikur über Glück und Lust, Foto der Akropolis, Athen, Wirkstätte des Epikur

Der antike Philosoph Epikur stellte den Begriff der Lust ins Zentrum seiner Glückslehre. Was Epikur über Glück und Lust dachte, inklusive Zitaten und weiterführender Leseempfehlungen.

Das Wichtigste im Überblick

Epikur – Glück als bestimmte Form der Lust: Der antike Philosoph Epikur stellt die Lust in den Mittelpunkt seiner Glückslehre. Er versteht Lust nicht bloß als unmittelbaren Genuss durch Tätigkeiten wie Essen, Trinken, Sex usw. Vielmehr gebe es auch noch eine Art Zustandslust, die in der Abwesenheit körperlicher Schmerzen und psychischer Beschwerden (Unerschütterlichkeit der Seele, Ataraxie) bestehe. Diesen Zustand gelte es für das Glück anzustreben. Glücklich zu sein sei daher ausdrücklich nicht mit einem ständigen und übermäßigen Streben nach kurzfristigen Genüssen gleichzusetzen. Epikurs Glückslehre lässt sich als eine spezielle Form des Hedonismus bezeichnen.

Nun aber zu den Details …

Wer war Epikur?

Epikur zählt zu den bekanntesten Philosophen der Antike. Er wurde um 341 v. Chr. auf der Insel Samos geboren und starb vermutlich um das Jahr 270 v. Chr. herum in Athen. Er gründete ca. 307 v. Chr. eine bis heute einflussreiche philosophische Schule, welche als Epikureismus bezeichnet wird und deren Anhänger als Epikureer. Manchmal wurde er als Gartenphilosoph verspottet, da er sich mit seinen Anhängern gerne in einem Garten fern des Stadtkerns von Athen versammelte.

Die Schule der Epikureer polarisierte bereits in der Antike. Vielen erschien sie in heutigen Begriffen als ein wenig sektenartig, da die Anhänger Epikurs dessen Lehre auswendig lernten und entsprechend ein devot-verehrendes, unkritisches Verhältnis zu ihm gehabt zu haben scheinen. Überdies stießen einige Inhalte seiner Lehre auf heftige Kritik (s. u.: Hedonismus). Neben metaphysisch-naturphilosophischen Überlegungen ist Epikur insbesondere für seine Ethik bekannt geworden. Leider sind von schätzungsweise über 40 Abhandlungen nur wenige erhalten, so dass wir uns auf verhältnismäßig wenige Originalquellen stützen müssen (s. Literaturempfehlungen).

Epikur über das Glück und die Bedeutung der Lust (hedone)

Epikurs Ethik kreist, typisch für die Antike, um das menschliche Glück (eudaimonia), wobei sich dieser Begriff explizit nur an wenigen Stellen des Werkes findet. Verschiedene antike philosophische Schulen unterschieden sich im Bereich der Ethik bzw. Theorie praktischer Lebensführung vor allem in ihren Antworten auf die Frage, was Glück ist.

Epikur misst dabei dem Begriff der Lust (altgrch. hedone, ἡδονή)* eine zentrale Bedeutung bei.

Wir streben nach Lust und vermeiden Unlust

Hierbei stellt er erstaunlich evolutionsbiologisch bzw. -psychologisch anmutende Überlegungen an: Tiere und Kinder wählen/präferieren anlagebedingt (i. S. ihrer physis: „Natur“, Beschaffenheit) spontan Lustzustände und vermeiden Schmerzzustände. Entsprechend orientieren sich menschliche Impulse, Affekte (pathe) und Triebe (epithymiai) offenbar grundsätzlich an der Lust.

Schmerzen (etwa durch körperliche Verletzungen) und seelische Unruhezustände, so könnte man Epikur auslegen, gefährden den Organismus. Daher ist für Epikur die dauerhafte körperliche und seelische Unversehrtheit „das stammesgeschichtlich vorgezeichnete Ziel des menschlichen Handelns.“ (H.-W. Krautz). Ein dauerhafter Lustzustand ist entsprechend nur durch eine Behebung von Mangelzuständen (Durst, Hunger usw.) und Schutz vor Bedrohungen (die zu Schmerzen bzw. allgemein körperlichen Missempfindungen und innerseelischer Unruhe führen) möglich. In Epikurs Worten: Ein „jedes Wählen und Meiden (ist) zurückzuführen auf die Gesundheit des Körpers und die Unerschütterlichkeit der Seele: denn dies ist das Ziel des glückseligen Lebens.“ Und: „Unerschütterlichkeit und Schmerzfreiheit sind Lustzustände“ (s. Abs. Zitate; eigene Hervorhebung). Die Unerschütterlichkeit der Seele wird fachsprachlich in Anlehnung an den altgriechischen Begriff ataraxia auch als Ataraxie bezeichnet.

Lust ist nach Epikur also nicht beschränkt auf jene positiven Lustzustände, die Menschen beispielsweise im Zusammenhang von Sinnenfreuden wie Mahlzeiten, Sex oder Spielen verspüren! Positiv hier verstanden als: etwas kommt hinzu (z. B. Genussempfinden, Freude usw.).

Verschiedene Formen der Lust bei Epikur

Epikur unterscheidet gemäß traditioneller Auffassung zwei Formen der Lust:

  • die katastematische Lust (von katastase: Zustand, daher gewissermaßen: statische Lust), und
  • die kinetische Lust (von kinese: Bewegung)

Epikur gibt ersterer den Vorzug. Unter katastematischer Lust ist oben genannter Zustand der Unerschütterlichkeit und Schmerzfreiheit zu verstehen, unter kinetischer Lust hingegen oben erwähnte unmittelbare Genüsse bzw. Genusszustände (während/nach einer Mahlzeit usw.).

Zitate: Epikur über Glück und Lust

In diesem Abschnitt sollen nun einige Original-Zitate von Epikur vorgestellt und eingeordnet werden.

Wichtige Ausführungen finden sich im so genannten Brief an Menoikeus, auf den sich die vorangegangenen Ausführungen besonders beziehen. Dort heißt es:

Wir müssen ferner berücksichtigen, daß die Begierden (epithymiai) zum einen anlagebedingt, zum andern ziellos sind. Und zwar sind von den anlagebedingten die einen notwendig, die andern nur anlagebedingt; von den notwendigen wiederum sind die einen zum Glück (eudaimonia) notwendig, die andern zur Störungsfreiheit des Körpers, die dritten zum bloßen Leben. Denn eine unbeirrte Beobachtung dieser Zusammenhänge weiß ein jedes Wählen und Meiden zurückzuführen auf die Gesundheit des Körpers und die Unerschütterlichkeit (ataraxia) der Seele: denn dies ist das Ziel des glückseligen (makarios) Lebens. Um dessentwillen tun wir ja alles, damit wir weder Schmerz noch Unruhe empfinden.“ (Men., 127f., nach der Übers. von H.-W. Krautz)

Und ergänzend:

Gerade deshalb ist die Lust, wie wir sagen, Ursprung und Ziel des glückseligen Lebens. Denn sie haben wir als erstes und angeborenes Gut erkannt, und von ihr aus beginnen wir mit jedem Wählen und Meiden, und auf sie gehen wir zurück, indem wir wie mit einem Richtscheid mit der Empfindung ein jedes Gut beurteilen.“ (Men., 128f.)

Stark heruntergebrochen ist für Epikur Glück also, positiv formuliert, Lust bzw. negativ bestimmt: Freisein von Unlust. Und zwar im Sinne einer Gesundheit des Körpers und Unerschütterlichkeit der Seele. Epikurs Glückslehre könnte entsprechend als eine Vorläuferin der heutigen so genannten Psychosomatik gelten, da beide Bereiche offenbar bei ihm nicht unabhängig voneinander zu betrachten sind.

Ziel der Philosophie sei es nach Epikur, die Erregung der Seele zu vertreiben:

„Leer ist jenes Philosophen Rede, durch die kein Affekt des Menschen geheilt wird. Denn wie die Heilkunde unnütz ist, wenn sie nicht die Krankheiten aus dem Körper vertreibt, so nützt auch die Philosophie nichts, wenn sie nicht die Erregung der Seele vertreibt.“ (Us. 221, übers. von H.-W. Krautz)

Zustand vs. Bewegung

Das folgende Zitat Epikurs verdeutlicht in meiner Lesart nun die wichtige Unterscheidung zwischen katastematischer und kinetischer Lust. Positive Gefühlszustände wie Freude und Frohsinn werden letzterer zugeordnet. Erstere wird ausdrücklich als ein Zustand („Lustzustand“) definiert.

Unerschütterlichkeit und Schmerzfreiheit sind Lustzustände; Freude und Frohsinn nimmt man unmittelbar einleuchtend in Bewegung wahr.“ (fr. 2 Us., übers. von H.-W. Krautz)

Hintergrund der etwas sperrigen Begrifflichkeiten Epikurs (Zustände vs. Bewegung) ist die Anknüpfung an seine Natur- bzw. Atomlehre, auf die aus Platzgründen hier jedoch nicht näher eingegangen werden soll (s. Literatur).

Nicht jede Lust ist gleichwertig

Für Epikur ist nun aber nicht jede Lust gleichwertig, auch wenn jede Lust ein Gut (etwas Gutes) sei:

(…), deswegen wählen wir auch nicht jede Lust, sondern bisweilen übergehen wir zahlreiche Lustempfindungen, sooft uns ein übermäßiges Unbehagen daraus erwächst. Sogar zahlreiche Schmerzen halten wir für wichtiger als Lustempfindungen, wenn uns eine größere Lust darauf folgt, daß wir lange Zeit die Schmerzen ertragen haben. Jede Lust also ist, weil sie eine verwandte Anlage hat, ein Gut, jedoch nicht jede ist wählenswert; (…).“ (Men., 129)

Die Formulierung wenn eine größere Lust darauf folgt ist meines Erachtens von enormer Bedeutung für das Verständnis der epikureischen Glückslehre (vgl. den nächsten Abschnitt).

Lust als Beseitung eines Mangels

Lust wird bei Epikur verschiedentlich als Beseitigung eines Mangels aufgefasst:

Denn bescheidene Suppen verschaffen eine ebenso starke Lust wie ein aufwendiges Mahl, sooft das schmerzhafte Gefühl des Mangels aufgehoben wird; auch Brot und Wasser spenden höchste Lust, wenn einer sie aus Mangel zu sich nimmt.“ (Men., 130f.)

Weiter unten versuche ich zu zeigen, dass Epikur hier in moderner Terminologie die Befriedigung von Grundbedürfnissen gemeint haben dürfte: Lust entsteht quasi durch die Befriedigung von Grundbedürfnissen.

Epikurs Hedonismus

Die Glückslehre Epikurs wurde häufig als Hedonismus (von altgrch. hedone: Lust, Vergnügen, Genuss, Freude) gelabelt und verspottet.

Hedonismus bezeichnet vereinfacht gesagt Lehren und Theorien, die die Lust in den Mittelpunkt stellen.

Bis heute wird Epikur immer wieder unterstellt (wohl in Unkenntnis der Originalschriften), ein egoistisches und stumpfsinniges Streben nach Lustzuständen um jeden Preis zu bewerben. Seine Glücksethik folge der Maxime So viel Genuss und Sinnenfreuden wie nur möglich. Wie wir oben gesehen haben, ist dem jedoch nicht so. Epikur behauptet gerade nicht, dass möglichst viel unmittelbarer Genuss (z. B. in Form eines Festmahls) glücklich macht. Auch wenn dieser dem Glück nicht im Weg stehen mag. Hierbei ist, wie oben gesehen, eine Unterscheidung verschiedener Formen der Lust entscheidend. Manchmal könne eine (kinetische) Lust für das Glück sogar hinderlich sein (vgl. das bereits angeführte Zitat: „(…) bisweilen übergehen wir zahlreiche Lustempfindungen, sooft uns ein übermäßiges Unbehagen daraus erwächst. Sogar zahlreiche Schmerzen halten wir für wichtiger als Lustempfindungen, wenn uns eine größere Lust darauf folgt, daß wir lange Zeit die Schmerzen ertragen haben“).

Nach meiner Interpretation war sich Epikur sehr wohl bewusst, dass sich ein kurzfristiges, blindes Genuss-Streben um jeden Preis negativ auf den Organismus auswirken kann und dann glückshinderlich wäre. Man denke an den Genuss von viel zu viel Alkohol und die möglichen unmittelbaren oder auch langfristigen Folgen des vielleicht kurzfristig als lustvoll wahrgenommenen Konsums.

Fraglich finde ich außerdem, ob Epikur die katastematische (Zustands-)Lust überhaupt als notwendigerweise mit positiven Gefühlszuständen wie Freude und Frohsinn einhergehend auffasst, oder ob sich Epikur Glück vor allem als eine Art Sättigungszustand vorstellt.

Nachwirken der Glückslehre des Epikur

Der Epikureismus gehört trotz der angesprochenen Polarisierung zu den wirkmächtigsten philosophischen Schulen der Antike. Bereits in römischer Zeit kam es zu einer breiten Rezeption, wobei der Dichter und Philosoph Lukrez sicherlich zu den prominentesten Anhängern gehörte. Viele Stoiker, so zum Beispiel Seneca, setzten sich mit Epikurs Lehren auseinander, auch wenn sie selbst deutlich abweichende Positionen vertraten.

In der Neuzeit ist die Bedeutung von Pierre Gassendi (1592-1655) zu betonen, welcher den Epikureismus gewissermaßen aus der Versenkung holte. In der wissenschaftlichen Literatur deutlich unterschätzt finde ich Epikurs Einfluss auf so genannte utilitaristische Ethiken (Nutzenethik), etwa bei Jeremy Bentham und John Stuart Mill, auch wenn hier, je nach Übersetzung, nicht von Lust, sondern von Wohlergehen und eben Nutzen gesprochen wird.

Epikur und die moderne Glücksforschung

Glück bei Epikur scheint in Form der katastematischen Lust(-zustände) vor allem negativ bestimmt zu sein. Als ein Freisein von X bzw. eine Abwesenheit von X. Eine Beseitigung von Mangel führe gewissermaßen zu Lustzuständen und dem menschlichen Glück. Dies ist ein Gedanke, der auch in modernen bedürfnisorientierten Glückskonzeptionen eine zentrale Rolle spielt (engl. needs). Die Idee ist hier: Wenn ich relevante Bedürfnisse ausreichend gut befriedige, versetze ich mich dadurch in einen ausgeglichenen, gesättigten Zustand, der sich als Glück bezeichnen ließe. Hierbei lassen sich physiologische/körperliche Bedürfnisse (Essen, Trinken usw.) und psychische/seelische Bedürfnisse (z. B. Bindung, Autonomie) voneinander unterscheiden. Bekannt geworden ist in diesem Zusammenhang u. a. die so genannte Selbstbestimmungstheorie von Richard M. Ryan und Edward L. Deci, welche jedoch üblicherweise nicht als genuine Glückstheorie, sondern als eine Motivationstheorie bezeichnet wird. Wenn man den Begriff Glück weglässt und stattdessen von subjektivem Wohlergehen bzw. psychischer Gesundheit spricht, ist sicherlich auch die so genannte Konsistenztheorie von Klaus Grawe anzuführen.

Nach meiner Lesart wird Epikur oft zu Unrecht unterstellt, lediglich die Bedürfnisse nach Lustgewinn und Unlustvermeidung zu fokussieren und andere, ebenfalls wichtige, auszublenden. Dies ist natürlich aufgrund der Zentralität des Begriffs der Lust in seiner Ethik und Glückslehre verständlich, übersieht jedoch, dass er an verschiedenen Stellen seines Werkes ausführt, dass Lustzustände Resultat einer Mängelbeseitigung sein können.

Auch wenn Epikur hier vor allem die Befriedigung physiologischer Bedürfnisse zur Illustration heranzieht (vgl. obiges Suppen-Zitat), so ist durchaus denkbar, dass auch die Befriedigung der (frustrierten) Bedürfnisse nach beispielsweise Bindung, Autonomie, Kontrolle, usw. Lust (oder abstrakter: Glückszustände) bewirken kann (und nicht allein reine Unlustvermeidung und Lustgewinn).

Resultat der ausreichenden Bedürfnisbefriedigung wäre dann im seelischen Bereich in Epikurs Begrifflichkeiten die Ataraxie, die Unerschütterlichkeit der Seele. Heute würden wir alternativ vielleicht von einem seelischen Gleichgewicht / Equilibrium sprechen, von einer psychischen Ausgeglichenheit oder gar von Resilienz.

Weiterführende Literatur und Texte

Die obigen Zitate wurden zur Illustration meiner Darstellung übernommen aus: Hans-Wolfgang Krautz (Übers. & Hrsg.): Epikur. Briefe, Sprüche, Werkfragmente. Griechisch/Deutsch. Reclam, hier: 2005. Eine sehr empfehlenswerte Sammlung und Übersetzung verfügbarer Quellen, inklusive eines umfangreichen Nachworts.

Empfehlenswert zur Einführung ist auch: Malte Hossenfelder: Die Philosophie der Antike III. Stoa, Epikureismus und Skepsis. C. H. Beck, 2. Aufl., 1995.

Und: Carl-Friedrich Geyer: Epikur zur Einführung. Junius, 4. Aufl. 2020.

Zur Ethik des Hedonismus existieren zahlreiche Einführungen und vertiefende Monographien. Eher an Fachleute richtet sich (englischsprachig): Russ Shafer-Landau: The Fundamentals of Ethics. Oxford University Press, 2010 (v. a. Part 1).

Im Glücksquellen-Blog streifen zahlreiche Artikel die Glückslehre des Epikur bzw. den Hedonismus. So etwa:

Meine eigene Vorstellung vom Glück als hinreichende Befriedigung relevanter Grundbedürfnisse ist sicherlich auch ein wenig von Epikurs Glückslehre inspiriert. Ausgeführt wird sie u. a. in den folgenden Blog-Artikeln:

Weitere einführende Artikel zu dem Thema Bedürfnisse sind z. B.:

* Zum besseren Nachvollziehen sind im Folgenden teilweise die altgriechischen Originalbegriffe von mir in Klammern mit angeführt worden.

Fotos: Pixabay

Von André Martens

André Martens ist studierter Philosoph und Psychologe mit mehrjähriger Erfahrung im Bereich der klinischen Psychologie. Er ist der Gründer des Blogs gluecksquellen.de. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich privat und professionell mit dem Thema Glück.

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