Glück und Egoismus, macht Egoismus glücklicher?
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Sind Menschen, die glücklich sein wollen und ihr eigenes Glück in den Vordergrund stellen, Egoisten? Ein paar philosophische Gedanken zum Verhältnis von Glück und Egoismus.

Ist es egoistisch, glücklich sein zu wollen?

Gar nicht so wenige Menschen tun sich schwer mit dem Egoismus. Sie verstehen darunter eine rücksichtslose Ellenbogenmentalität, die immer das eigene Wohl an erste Stelle setzt und die Wünsche und Bedürfnisse anderer konsequent zurückstellt. Diese Menschen sind häufig sehr hilfsbereit, prosozial, zugewandt und einfühlsam. Sie wollen, dass es allen gut geht. Ich finde das sehr ehrenvoll. Manchmal gehen sie jedoch so weit, dass es immer ihr primäres Ziel ist, dass es den anderen gut geht. Sie wollen nicht als egoistisch gelten. Sie wollen sich nicht nachsagen lassen, sie würden sich selbst bevorteilen und sich nehmen, wonach ihnen gerade ist.

Ich habe sogar schon Menschen getroffen, die meinten, es sei egoistisch, glücklich sein zu wollen. Und solche, die angaben sich zu schämen, wenn sie gerade glücklich waren. Sie verspürten eine Art Glücksscham, könnte man etwas überspitzt sagen.

Man kann sicherlich nicht pauschalisieren und jeder dieser Menschen hat je eigene Gründe dafür, Probleme mit dem Egoismus bzw. egoistischem Verhalten zu haben oder sich bei eigenem Glücksempfinden zu schämen. Doch es gibt, denke ich, einige Ursachen für die Ablehnung des Egoismus, die häufiger auftreten (die Liste ist unvollständig):

  • Egoistisches Verhalten wird mit Menschen in Verbindung gebracht, die man ablehnt (oder die abzulehnen einem von nahen Bezugspersonen beigebracht wurde)
  • Anti-Egoisten haben im Laufe ihres Lebens eine starke so genannte Fremdbezogenheit erlernt, also eine Orientierung hin auf die Wünsche und Bedürfnisse anderer
  • Letzteres geschieht häufig aus Angst vor Ablehnung bzw. aus dem Wunsch heraus, immer beliebt zu sein (was Egoisten naturgemäß nicht immer sein können)
  • Manchmal gibt oder gab es auch einen Loyalitätskonflikt: Einer oder mehreren Bezugspersonen ging/geht es schlecht und man erlaubt sich, mehr oder weniger unbewusst, nicht, dass es einem selbst besser als jenen gehen darf (Stichwort: schlechtes Gewissen)
  • Und dann gibt es da noch die Moralisten, die den Egoismus aus moralischen/ethischen Gründen als schlecht betrachten. Man darf sich allerdings die Frage stellen, ob im Hintergrund nicht doch auch einer der obigen psychologischen Gründe eigentlich ausschlaggebend für die Ablehnung des Egoismus ist, und nicht irgendeine abstrakte Moral.

Glück und Egoismus

Meiner Meinung nach stimmt es, dass gerade so genannte westliche Glückskonzeptionen das Individuum, den Einzelnen, in den Mittelpunkt stellen und somit sein/ihr Streben nach mehr Wohlbefinden. Beim Thema Glück geht es den meisten um mein Glück. Nicht um unser Glück, auch wenn es dieses Streben durchaus gibt, z. B. im Utilitarismus. Und manchmal geht es tatsächlich primär um das Glück des anderen, z. B. im Konzept der Mitfreude oder Mudita, wie ich in einem anderen Artikel ausgeführt habe. Dennoch: Die meisten Glückslehren und -konzeptionen sind individuumszentriert.

Da liegt es nahe, das Streben nach Glück, welches spätestens seit der Antike als dem Menschen eigen erachtet wird, mit dem Egoismus in Verbindung zu bringen. Es stellt sich allerdings eine wichtige Frage:

Was ist eigentlich Egoismus?

Egoismus, sehr vereinfacht gesagt, bezeichnet eine Eigennützigkeit. Etwas bzw. mein Handeln verschafft mir einen Nutzen, ist also positiv für mich. Ich bin primär, ich stehe im Vordergrund.

Nicht ganz klar ist nun aber der Stellenwert der anderen bei egoistischen Handlungen und Haltungen. Kann man sich auch dann egoistisch verhalten, wenn das eigene Handeln keinen relevanten Einfluss auf andere hat? Zum Beispiel wenn ich in der Eisdiele, weil es mir am besten schmeckt, eine Kugel Himbeereis bestelle (und noch genug übrig bleibt für nachfolgende Kunden)? Ich glaube, ein solches Verständnis würde wenig Sinn machen. Egoismus hängt immer mit einem potenziellen Vorteil für mich selbst, bei gleichzeitigem (größeren oder kleineren) potenziellen Nachteil für mindestens eine andere Person (Lebewesen, Ökosystem usw.), zusammen.

Schadet das eigene Streben nach Glück anderen?

Benachteiligt nun aber jemand, der glücklich ist oder sein will und nach Glück strebt, andere? (Ich unterstelle trivialerweise einfach mal, dass Glücklichsein einen Eigenutzen und etwas Positives darstellt.)

Potenziell ja, würde ich behaupten. Wer nach meiner eigenen Glücksdefinition seine/ihre eigenen Bedürfnisse befriedigt, könnte dabei durchaus diejenigen anderer vernachlässigen oder deren Befriedigung erschweren. In diesem Sinne würde ich durchaus sagen: Ja, es ist egoistisch (oder kann egoistisch sein), glücklich sein zu wollen. Das an sich halte ich persönlich für wenig problematisch. Es stellt sich nun natürlich die Frage: Sollte ich mich egoistisch verhalten? Darf ich das überhaupt?

Wenn ich Glaubenssätze oder genauer: Werte habe wie Ich darf meine Bedürfnisse nie über die der anderen stellen oder Egoisten sind schlecht, dann natürlich nicht. Hier könnte man sich aber die Anschlussfrage stellen, ob es nicht selbst egoistisch ist, (nach eigenen Maßstäben) nicht schlecht sein zu wollen und entsprechend zu handeln. Schadet ja niemandem, wenn ich nicht-egoistisch, altruistisch oder wie auch immer man es nennen möchte, handle?! Muss nicht, kann aber. Die Mutter oder der Vater, der nie an sich selbst und immer an die eigenen Kinder denkt, wird wahrscheinlich früher oder später ausbrennen und dadurch dem eigenen Nachwuchs indirekt doch potenziellen Schaden zufügen (siehe auch das Fallbeispiel weiter unten). Wer immer zuvorkommend, selbstlos, hilfsbereit usw. auftritt, besetzt in sozialen Gruppen häufig den Beliebtheitsthron (und nimmt ihn dadurch anderen weg).

Funktionaler bzw. gesunder Egoismus

Zugegeben: Das sind reichlich konstruierte Beispiele. Trotzdem glaube ich, dass es einen konsequenten Nicht-Egoismus nicht geben kann. Und außerdem stellt sich mir die Frage, ob der Egoismus denn wirklich so schlecht ist wie sein Ruf bei vielen Menschen. Wenn ich eine Gehaltserhöhung verhandle und dadurch jemand anderem ein Geschenk machen kann, welches ich sonst nicht hätte machen können oder höhere Steuern zum Wohle der Gemeinschaft zahle, ist das dann schlimm und schlecht?

Egoismus, und damit potenziell auch das Streben nach Glück, kann sehr funktional sein. Nicht nur für das Individuum (sein Befinden, seine Gesundheit usw.), sondern auch für andere Menschen. Für die eigene Familie, das Umfeld, den Arbeitgeber, die Gesellschaft, den Staat, den Planeten usw. Häufig wird auch von einem gesunden Egoismus oder einfach von Selbstfürsorge gesprochen.

Wer ständig die eigenen Bedürfnisse und Wünsche zurückstellt, sägt am eigenen Ast und kann, auch zum potenziellen Schaden anderer, tief fallen. Es kommt meiner Meinung nach auf eine Balance an, eine Wippe von Selbst- und Fremdbezogenheit. Ohne den primären Fokus auf die eigenen Bedürfnisse gäbe es wohl unsere gesamte Art nicht mehr, würden Babys kaum wenige Tage überleben.

Ein (fiktives) Beispiel für Egoismus mit positiven Auswirkungen

Lena arbeitet seit Jahren in einem anspruchsvollen Job in einer Unternehmensberatung. Sie liebt ihre Arbeit, merkt aber, dass sie zunehmend ausgebrannt ist und ihre Gesundheit leidet. Lena entscheidet sich, egoistisch zu handeln und nimmt ein Sabbatical, um sich eine Auszeit zu gönnen und eine lang gehegte Reise nach Südamerika zu unternehmen. Sie informiert ihr Team und ihren Chef frühzeitig, um die Übergabe ihrer Aufgaben reibungslos zu gestalten.

Während ihrer Reise besucht Lena verschiedene Länder, lernt neue Kulturen kennen und nimmt an mehreren Workshops zu Achtsamkeit und Stressmanagement teil. Diese Erfahrung gibt ihr nicht nur die dringend benötigte Erholung, sondern inspiriert sie auch zu neuen Ideen für ein gesünderes Arbeitsumfeld (vgl. Jobzufriedenheit).

Nach sechs Monaten kehrt Lena erfrischt und voller Energie zurück in ihre Firma. Sie schlägt vor, einige der Achtsamkeitspraktiken und Stressmanagement-Techniken, die sie gelernt hat, in den Arbeitsalltag zu integrieren. Mit Unterstützung der Geschäftsführung entwickelt sie ein Programm, das regelmäßige Pausen, Achtsamkeitsübungen und flexiblere Arbeitszeiten umfasst.

Das neue Programm wird gut angenommen und trägt dazu bei, dass das Arbeitsklima deutlich verbessert wird. Die Mitarbeiter berichten von weniger Stress und höherer Zufriedenheit. Auch die quantifizierbare Produktivität steigt, da sich die Mitarbeiter erholter und motivierter fühlen.

Durch Lenas „egoistische“ Entscheidung, eine Auszeit zu nehmen und sich um ihre eigene Gesundheit zu kümmern, konnte sie nicht nur ihr eigenes Wohlbefinden verbessern, sondern auch positive Veränderungen für ihre Kollegen und das gesamte Unternehmen bewirken. Ihr Beispiel zeigt, dass gesunder Egoismus nicht nur das eigene Leben bereichern, sondern auch einen positiven Einfluss auf andere haben kann.

Fazit: Glück und Egoismus schließen einander nicht aus

Zusammenfassend ließe sich sagen: Ja, Glück und Egoismus schließen einander nicht aus, sondern hängen eher sogar miteinander zusammen. Wer glücklich sein will, wird immer auch zu einem gewissen Maß egoistisch sein bzw. handeln. Ohne eine gewisse Fokussierung auf den Eigennutzen kein Glück. Gemeint ist dabei aber ausdrücklich keine maligne, bösartige Form des Egoismus, die gleichzeitig zur Selbstbevorteiligung den Schaden anderer zum Ziel hat.

Ich persönlich würde mir trotz aller berechtigten Kritik an einem skrupellosen Raffgier- und Haudraufegoismus wünschen, dass wir viel häufiger reflektieren, was die Ursachen unseres persönlichen Problems mit dem Egoismus sind. Lehnen wir diesen wirklich aus moralischen Gründen ab? Und falls ja, wie konsequent und mit der Lebenswirklichkeit vereinbar ist das überhaupt? Oder lehnen wir ihn in Wirklichkeit aus im weistesten Sinne psychologischen Gründen ab, wie oben beschrieben? Zum Beispiel, weil wir nicht so sein wollen wie XYZ, der zeitlebens als Egoist galt UND von anderen (vielleicht auch aus Neid), an die wir emotional gebunden waren, abgelehnt wurde.

An dieser Stelle ein paar vielleicht provokante Haltungen:

  • Du darfst glücklich sein!
  • Du darfst nach Glück streben!
  • Du darfst deine eigenen Bedürfnisse befriedigen wollen!
  • Du kannst glücklich sein UND gleichzeitig ein fürsorglicher, prosozialer Mensch! Das schließt sich nicht aus!

Und wie stehst du persönlich zum Zusammenhang von Glück und Egoismus? Schreib deine Meinung gerne unten in die Kommentare.

Foto: Pixabay

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  • André Martens

    André Martens ist studierter Philosoph und Psychologe mit mehrjähriger Erfahrung im Bereich der klinischen Psychologie. Er ist der Gründer des Blogs gluecksquellen.de. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich privat und professionell mit dem Thema Glück.

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