Altes Paar, glücklich auf Parkbank

Grundbedürfnisse: Welche gibt es? Das folgende Glossar beschreibt und erläutert verschiedene menschliche Grundbedürfnisse. Dabei wird ein Schwerpunkt auf psychische Grundbedürfnisse gelegt. Die Auflistung orientiert sich vor allem an den psychologischen Theorien von Klaus Grawe, Rainer Sachse und Jeffrey Young. Am Ende werden weiterführende Artikel empfohlen.

Grundbedürfnisse (Definition, Beispiele): Welche gibt es?

Anerkennung

Anerkennung ist gemäß Rainer Sachse, Janine Breil und Jana Fasbender „das Motiv, von anderen positives Feedback über die eigene Person oder über persönlich relevante Eigenschaften zu erhalten, also Botschaften zu hören wie: Du bist ok. (…) Du bist liebenswert. (…) Du bist attraktiv.“ Diese Beschreibung fokussiert die zwischenmenschliche Dimension der Anerkennung, es ist meines Erachtens jedoch durchaus denkbar, Anerkennung nicht nur als „Anerkennung von außen“ (von anderen Menschen) zu verstehen. Auch wenn in neuerer Zeit oftmals von einer „Sucht nach Anerkennung“ gesprochen wird und Anerkennung schnell undifferenziert in die Ecke des Narzissmus gerückt wird, erachte ich Anerkennung als ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, an dem per se nichts, aber auch rein gar nichts pathologisch ist. Wir alle brauchen Anerkennung, in allen Lebensphasen. Nur wenn das Bedürfnis im wahrsten Sinne des Wortes maßlos wird, wird es problematisch.

Verwandte Grundbedürfnisse: Wertschätzung, Selbstwertschutz und Selbstwerthöhung.

Autonomie

Autonomie bezeichnet nach Rainer Sachse das Motiv, eigene Entscheidungen zu treffen und selbst über das eigene Leben zu bestimmen. Also eigene Antworten auf Fragen wie die folgenden zu haben (oder erst noch zu entwickeln): Was will ich tun? Was will ich erreichen? Wohin will ich? Und entsprechend handeln zu dürfen (auch wenn sich vielleicht nicht jede Entscheidung als klug erweist und nicht jedes Ziel erreicht wird)! Zum Bedürfnis nach Anerkennung gehört natürlich auch, dass andere Menschen meine Autonomie anerkennen und nicht versuchen, sie zu unterbinden oder einzuschränken. Autonomie ist neben dem Bedürfnis nach Bindung vielleicht das am besten erforschte psychische Grundbedürfnis und meines Erachtens mit diesem zusammen auch das zentralste. Kein (ganz) glückliches Leben ohne geglückte Bindungserfahrungen, die das Bindungsbedürfnis befriedigen) und zugleich eine hinreichende Befriedigung des Bedürfnisses nach Autonomie.

Verwandte Grundbedürfnisse: Selbstbestimmung, Freiheit, Freiheit des Gefühls- und Bedürfnisausdrucks, Unabhängigkeit, Selbstwirksamkeit.

Bindung

Das wohl zentralste menschliche psychische Grundbedürfnis, dessen massive Frustration in Kindheit und Jugend im Erwachsenalter leider zu psychischen Erkrankungen und einem reduzierten Glücksempfinden führen kann. Bindung bezeichnet das Bedürfnis nach einer tiefen, im weiteren Sinne emotionalen Verbindung zu relevanten, für mich bedeutsamen anderen Menschen. Die frühe und dauerhafte Frustration dieses Bedürfnisses kann z. B. ein starkes Misstrauen, Einsamkeitserleben und Ausgrenzungsgefühl begünstigen. Es wird vermutet, dass Babys ohne ein Minimalmaß an positver Bindungserfahrung nicht überleben würden. Bindung ist mit zahlreichen anderen Bedürfnissen verwandt und stellt für mich eine Art Oberbegriff für viele davon dar.

Verwandte Grundbedürfnisse: Verbundenheit, Geborgenheit, Zugehörigkeit, Liebe, Sicherheit (stabile Basis), Teilhabe an kollektiven Zielen, Anerkennung, Wertschätzung.

Freiheit im Ausdruck von Bedürfnissen und Emotionen

Jeder Mensch hat grundlegend das Bedürfnis, seine eigenen Bedürfnisse und Emotionen auszudrücken, also die Freiheit zu haben, sich mitzuteilen. Man denke in diesem Zusammenhang an ein aufgrund von Hunger schreiendes Baby oder ein aufgrund von Überforderung oder Angst weinendes Kind. Leider können viele Faktoren zur Frustration dieses Grundbedürfnisses beitragen, so beispielsweise eine Unterdrückung des Bedürfnis- und Emotionsausdrucks aufgrund strenger elterlicher Regeln („Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ usw.) oder von wichtigen Bezugspersonen vorgelebten entwertenden Einstellungen gegenüber Emotionen und Bedürfnissen (z. B. „Gefühle sind Ausdruck von Schwäche“). Häufig orientieren sich Menschen, die ihre eigene Bedürfnis- und Gefühlswelt nur unzureichend ausdrücken konnten bzw. können stark an denen anderer Menschen (sog. Fremdbezogenheit).

Verwandte Grundbedürfnisse: Spontaneität, Spiel & Spaß, Wichtigkeit, Anerkennung, Lustgewinn u. a.

Geborgenheit

Das Bedürfnis nach Geborgenheit ähnelt stark dem Bindungsbedürfnis und verknüpft nach meinem Verständnis gewissermaßen das Bedürfnis nach einer sicheren, verlässlichen Basis mit einem positiven Gefühlszustand. Wer sich geborgen fühlt, fühlt sich nicht nur sicher gebunden, sondern auch wohl. Ich persönlich assoziiere Wärme, Wohligkeit und positive Näheerfahrung mit diesem Begriff und kann voll und ganz verstehen, dass Geborgenheit im Jahr 2004 zum zweitschönsten Wort der deutschen Sprache gewählt wurde.

Verwandte Grundbedürfnisse: Bindung, Verbundenheit, Vertrauen, Zugehörigkeit, Sicherheit, Loyalität.

Kontrolle

Das Bedürfnis nach Kontrolle bezeichnet verkürzt gesagt das Bedürfnis nach (potenziell erfolgreicher) Einflussnahme auf den „Lauf der Dinge“. Es ist insofern sehr eng mit dem Konzept der Selbstwirksamkeit verwandt. Wer über eine (angemessene) Kontrolle verfügt, der/die wird seine/ihre individuellen Ziele mit einer höheren Wahrscheinlichkeit erreichen. Wer im Kontrollbedürfnis massiv frustriert wurde (etwa im Zuge einer Traumatisierung und/oder durch „erlernte Hilflosigkeit“), wird sich in der Regel ängstlicher und hilfloser/ohnmächtiger als andere fühlen. Nach Klaus Grawe hängt das Bedürfnis nach Kontrolle eng mit dem nach Orientierung zusammen und stellt ein zentrales psychisches Grundbedürfnis eines jeden Menschen dar.

Verwandte Grundbedürfnisse: Orientierung, Selbstwirksamkeit, Autonomie, Selbstbestimmung.

Lustgewinn

Lustgewinn bezeichnet das Bedürfnis nach dem ausreichend häufigen Erleben positiv empfundener innerer Zustände (Lust), die durch äußere (z. B. leckeres Essen, positive Sozialkontakte, Sex), aber auch „innere Dinge“ (z. B. schöne Erinnerungen, sexuelle Phantasien) ausgelöst werden können. Menschen neigen gemäß der Lernpsychologie dazu, Verhaltensweisen, welche zu Lustgewinn führen, mit höherer Wahrscheinlichkeit in der Zukunft zu wiederholen (vgl. die Theorie der so genannten „operanten Konditionierung“). Das Bedürfnis nach Lustgewinn hängt sehr eng mit dem nach Unlustvermeidung zusammen.

Verwandte Grundbedürfnisse: Unlustvermeidung, Spiel & Spaß, Spontaneität, freier Gefühls- und Bedürfnisausdruck, Liebe.

Orientierung

Das Bedürfnis nach Orientierung bezeichnet das bereits früh im Leben eine zentrale Rolle spielende Bedürfnis, den „Lauf der Dinge“ (ausreichend gut) zu verstehen. Man könnte folglich auch von Verstehbarkeit sprechen. Wer orientierungslos ist, fühlt sich in der Regel überfordert, bisweilen auch ängstlich, hilflos und verloren. Orientierung gibt Sicherheit, erleichtert effektives, erfolgreiches Handeln und das Streben nach unseren Zielen. Als Kind benötigten wir alle Orientierung von außen, zum Beispiel durch Eltern, Geschwister, Lehrer usw. Als Erwachsene sind wir in der Lage, uns auch selbst Orientierung zu geben. Nach Klaus Grawe hängen die Bedürfnisse nach Orientierung und Kontrolle eng miteinander zusammen.

Verwandte Grundbedürfnisse: Kontrolle, Sicherheit, Selbstwirksamkeit, Verstehbarkeit.

Realistische Grenzen

Realistische Grenzen bezeichnet ein in der Psychologie meiner Meinung nach sehr stiefmütterlich behandeltes Bedürfnis von enormer Bedeutung. Gemeint ist mit realistische Grenzen das Bedürfnis, Regeln gesetzt zu bekommen und begrenzt zu werden (bzw. dies kompetent selbst tun zu können). Es spielt insbesondere für Kinder eine große Rolle. Denn ohne Begrenzung kein gelingendes Miteinander in einer Gemeinschaft. Wenn sich der 6-jährige schreiend und heulend im Supermarkt auf den Boden wirft, weil er einen Lolli nicht bekommt, braucht er (oft) Begrenzung. Wenn er diese nicht erhält, kann es sein, dass er als Erwachsener mit einer VIP-Attitüde durchs Leben läuft und jedesmal gekränkt reagiert, wenn ihm andere seine vermeintlich legitimen Wünsche verwehren. Wer in diesem Bedürfnis stark frustriert worden ist, verhält sich also oft maßlos und hat Schwierigkeiten, mit Schwierigkeiten, Fehlern, Kritik, Niederlagen und anderen Enttäuschungen des Lebens umzugehen.

Verwandtes Grundbedürfnisse: Orientierung, Frustrationstoleranz (vielleicht eher eine Fähigkeit als ein Bedürfnis).

Selbstwerterhöhung und -schutz

Nach Klaus Grawe ist hiermit das Bedürfnis eines jeden Menschen gemeint, sich selbst positiv zu definieren (als gut und richtig), also quasi nach einem positiven Selbstwerterleben, und nach entsprechenden Rückmeldungen bzw. Spiegelungen von außen durch relevante andere Personen. Ausdrücklich nicht gemeint ist eine pathologische Selbstüberhöhung bzw. Grandiosität, wie sie bei narzisstischen Persönlichkeiten auftreten kann. Eine Frustration dieses Bedürfnisses führt meist zu einem Schamgefühl und niedrigen Selbstwerterleben (alltagssprachlich: Minderwertigkeitserleben).

Verwandte Grundbedürfnisse: Anerkennung, Wertschätzung, Wichtigkeit.

Sicherheit

Sicherheit bezeichnet das Bedürfnis nach einem Zustand, in dem man sich physisch und psychisch sicher fühlt. In einem engeren Sinne bezeichnet Sicherheit das Gefühl, sich auf relevante andere Menschen verlassen zu können bzw. dass diese uns zuverlässig erscheinen. Bei Kindern spricht man entwicklungspsychologisch oft auch von einer „sicheren Basis“, von der aus sich das Kind entfalten und auf Entdeckungsreise begeben kann.

Verwandte Grundbedürfnisse: Zuverlässigkeit, Verlässlichkeit.

Spiel & Spaß

Hiermit ist das grundlegende Bedürfnis aller Menschen gemeint, beizeiten zu spielen und Spaß zu haben, gleich ob alleine oder gemeinsam mit anderen. Wird dieses Bedürfnis meist in der Kindheit noch ausreichend befriedigt, fristet es in unserer Leistungsgesellschaft im Erwachsenenleben leider häufig ein echtes Schattendasein. Dabei sind Spiel und Spaß essentiell für unser Glückserleben und auch psychische Gesundheit.

Verwandte Grundbedürfnisse: Spontaneität, Kreativität, freier Gefühls- und Bedürfnisausdruck, Lustgewinn, Unlustvermeidung, Stimulation.

Unlustvermeidung

Unlustvermeidung bezeichnet das Bedürfnis, so genannte aversive Zustände wie Schmerzen, Verletzungen, übermäßige unangenehme Gefühle und Anspannungszustände usw. zu vermeiden, als quasi nicht erleben und spüren zu müssen. Auch wenn eine sehr starke Unlustvermeidung pathologisch sein kann (vgl. die so genannte Frustrations(in)toleranz), wird mit dem Bedürfnis nach Unlustvermeidung per se ein grundlegendes, ganz normales, universelles Bedürfnis bezeichnet, welches eng mit jenem nach Lustgewinn zusammenhängt.

Verwandte Grundbedürfnisse: Lustgewinn, Spiel & Spaß, Spontaneität, freier Gefühls- und Bedürfnisausdruck, Liebe.

Verbundenheit

Das Bedürfnis nach Verbundenheit ist eng mit dem Bedürfnis nach Bindung verwandt. Gemeint ist das Bedürfnis, sich einer anderen Person oder auch mehreren Menschen (Gruppen) verbunden zu fühlen, also sehr vereinfacht gesagt: eine positive Verbindung zu haben. Dies setzt einen gewissen Grad an Wechselseitigkeit bzw. Gegenseitigkeit voraus und geht zumeist mit dem Erleben einer gewissen emotionalen Nähe einher. Man kann sich beispielsweise einem Team, einer Kultur oder Subkultur, einer Familie usw. verbunden fühlen. Wer sich miteinander verbunden fühlt, gehört (in relevanter Hinsicht) zusammen.

Verwandte Grundbedürfnisse: Bindung, Geborgenheit, Zugehörigkeit, Liebe, Sicherheit (stabile Basis), Teilhabe an kollektiven Zielen.

Wichtigkeit

Wichtigkeit bezeichnet gemäß Sachse, Breil und Fasbender das „Motiv, von anderen die Information zu erhalten, dass man für die andere Person wichtig ist, dass man für andere eine Bedeutung hat, dass man im Leben einer anderen Person eine Rolle spielt.“ Sprich: Beim Wichtigkeitsmotiv haben wir das Bedürfnis, dass andere (für uns relevante) Menschen uns als Bereicherung empfinden, gerne Zeit mit uns verbringen, z. B. gemeinsam etwas unternehmen, uns Aufmerksamkeit schenken und zuhören, und unsere Bedürfnisse und Wünsche bei Entscheidungen berücksichtigen bzw. überhaupt „sehen“. Dabei ist Wichtigkeit immer relational. Das heißt: Es geht bei der Wichtigkeit um den „Wert“, den man für andere hat (pointiert: Fremdwert statt Selbstwert). Ich denke allerdings, dass eine chronische Frustration dieses Bedürfnisses immer auch Auswirkungen auf unser Selbstwerterleben haben wird.

Verwandte Grundbedürfnisse: Anerkennung, Respekt, Selbstwerterhöhung und -schutz.

Zugehörigkeit

Zugehörigkeit bezeichnet das Bedürfnis, zu einer Gemeinschaft bzw. Gruppe dazuzugehören oder genauer gesagt: sich zugehörig zu fühlen (Zugehörigkeitsgefühl). Das kann eine Familie ebenso wie ein Verein, eine Kulturgemeinschaft oder Nation sein. Man könnte auch sagen: Kein Mensch ist eine Insel.

Verwandte Grundbedürfnisse: Verbundenheit, Gemeinschaftsgefühl, Bindung, Teilhabe an kollektiven Zielen, Geborgenheit.

Meine eigene Theorie des Glücks und den Zusammenhang von Glück und psychischen Grundbedürfnissen erläutere ich hier: Glück: (M)eine Definition des Begriffs. Weiterführend sind auch folgende Artikel: Psychische Grundbedürfnisse, Bedürfnisse bei Jeffrey Young und Glücksaktivitäten für ein nachhaltiges Glück.

Von André Martens

André Martens ist studierter Philosoph und Psychologe mit mehrjähriger Erfahrung im Bereich der klinischen Psychologie. Er ist der Gründer des Blogs gluecksquellen.de. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich privat und professionell mit dem Thema Glück.

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