Das Easterlin-Paradox: Macht mehr Geld glücklicher? (Ferrari zur Illustration)

Macht ein höheres Einkommen glücklicher? Mit dieser Frage beschäftigte sich der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Richard Easterlin in den 1970er-Jahren und gelangte nach Sichtung zahlreicher Studien zu interessanten Erkenntnissen. Nach ihm wurde das so genannte Easterlin-Paradox benannt.

Das Easterlin-Paradox

Richard Easterlin sichtete 30 Umfragen aus den Jahren 1946 bis 1970, die sich mit dem Zusammenhang von Einkommen/Wohlstand und subjektivem Wohlbefinden* bzw. Glück beschäftigten. Dabei wurden insgesamt 19 Länder abgedeckt, elf davon aus dem asiatischen, afrikanischen bzw. lateinamerikanischen Raum.

Ein zentrales Untersuchungsergebnis war: Innerhalb der Länder gab es zu einem bestimmten Zeitpunkt durchaus einen auffälligen Zusammenhang zwischen Einkommen und Glück. Das heißt: Menschen mit einem höheren Einkommen waren tendenziell glücklicher. Eine Studie, so Easterlin, habe jedoch zumindest für die USA seit 1946 gezeigt, dass im Zeitverlauf eine Zunahme an Einkommen nicht systematisch mit einer Zunahme an Glück bzw. subjektivem Wohlbefinden einherging (Easterlin, 1974).

Durch Einkommenszuwächse und steigenden Wohlstand im Zeitverlauf erhöhte sich das Glückslevel nicht entsprechend. Stark vereinfacht ausgedrückt: Mehr Geld machen, macht nicht glücklicher. (Aber auch nicht unglücklich)

In den Worten Easterlins:

Das Easterlin-Paradoxon besagt, dass das Glück zu einem bestimmten Zeitpunkt direkt mit dem Einkommen variiert, sowohl zwischen als auch innerhalb von Nationen, aber im Zeitverlauf besteht kein signifikanter Zusammenhang zwischen den langfristigen Steigerungsraten von Glück und Einkommen.

Easterlin & O’Connor, 2022 (eigene Übersetzung & Hervorhebungen)

Wie lässt sich das Easterlin-Paradox erklären?

Es wurden verschiedene psychologische Erklärungen für das Easterlin-Paradox gegeben (vgl. Clark, Frijters, & Shields, 2008), z. B.:

Sozialer Vergleich: Menschen können gar nicht anders, als sich mit anderen Menschen zu vergleichen. Dadurch bewerten wir Einkommenszuwächse auch nicht isoliert (absolut), sondern relativ (zu anderen Menschen in unserer „Vergleichsgruppe“). Und deren Einkommen kann ebenfalls (analog zu unserem eigenen) gestiegen sein. Weshalb wir gefühlt keinen „richtigen“ Zuwachs haben.

Hedonistische Anpassung: Menschen gewöhnen sich an höhere Einkommen bzw. Lebensstandards. Somit macht ein steigendes Einkommen nicht per se glücklicher.

Kritik an Easterlin

Seit Easterlins erster Veröffentlichung (1974) wurden seine Ergebnisse zwar in einigen Folgeuntersuchungen bestätigt. Allerdings kommen Auswertungen aktueller verfügbarer Daten teilweise zu abweichenden Ergebnissen.

So fanden beispielsweise Stevenson und Wolfers (2008) in ihrer umfangreichen Datenanalyse heraus, dass das ökonomische Wachstum eines Landes, und damit auch das der mittleren Einkommen, sehr wohl mit steigendem Glück bzw. subjektivem Wohlbefinden zusammenhing. Sie schließen aus ihren Befunden, dass absolute Einkommenszuwächse (also die reale Steigerung, ohne Vergleiche mit anderen) eine deutliche Rolle für das Glück eines Menschen spielen. Die oben bereits erwähnten relativen Einkommenszuwächse würden hingegen eine untergeordnete Rolle spielen.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch Veenhoven und Vergunst (2014). Sie analysierten Daten der World Database of Happiness. Das BIP-Wachstum (Bruttoinlandsprodukt) von Ländern sei durchaus positiv mit dem Zuwachs an Glück korreliert (höheres BIP-Wachstum => Zunahme an Glück).

Einige Autoren nehmen eine Mittelposition ein, so z. B. Graham, Chattopadhyay und Picon (2010). Sie schreiben:

Es spielt auch eine Rolle, welche Länder in der Stichprobe enthalten sind. Befragte in ärmeren Ländern, die immer noch Schwierigkeiten haben, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, zeigen einen stärkeren Zusammenhang zwischen Einkommen und (subjektivem) Wohlbefinden als jene in wohlhabenden Ländern, wo diese Beziehung durch Faktoren wie relative Unterschiede und steigende Ansprüche (aspirations) mediiert (mediated) werden.

S. 269, eigene Übersetzung

Zusammenfassung: Macht mehr Geld glücklicher?

Das Easterlin-Paradox besagt, dass es langfristig keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Steigerung des Einkommens bzw. Wohlstands und dem Glück von Personen gibt, obwohl ein solcher Zusammenhang zu einem einzelnen Zeitpunkt sehr wohl besteht (wohlhabendere Personen sind im Mittel glücklicher als weniger Wohlhabende). Neuere Forschungsergebnisse legen nahe, dass „die Wahrheit“ deutlich komplexer sein dürfte, als ursprünglich von Easterlin angenommen.

Bei der Recherche kam mir in den Sinn, dass es einen gewissen Unterschied machen könnte, ob man eine Steigerung des Einkommens oder aber des Vermögens (inkl. Erspartem, Investitionen, Immobilien usw.) untersucht. Zumindest bei sehr hohen Vermögenswerten (sagen wir: 50 vs. 500 Millionen Euro) erscheint die Steigerung intuitiv deutlich weniger relevant als in „niedrigeren Regionen“ (sagen wir: 10.000 vs. 100.000 Euro). Möglicherweise, wie oben angedeutet, weil hiermit keine relevante Nützlichkeit für die Befriedigung glücksbezogener Grundbedürfnisse einhergeht.

Und wie siehst du das Ganze? Bist du der Ansicht, dass eine kontinuierliche Steigerung des Einkommens, bzw. mehr Geld zu haben, glücklicher macht? Schreib deine Meinung gerne unten in die Kommentare.

Wissenschaftliche Literatur

Clark, A. E., Frijters, P., & Shields, M. A. (2008). Relative income, happiness, and utility: An explanation for the Easterlin paradox and other puzzles. Journal of Economic literature, 46(1), 95-144.

Easterlin, R. A. (1974). Does economic growth improve the human lot? Some empirical evidence. In Nations and households in economic growth (pp. 89-125). Academic press.

Easterlin, R. A., & O’Connor, K. J. (2022). The easterlin paradox. In Handbook of labor, human resources and population economics (pp. 1-25). Cham: Springer International Publishing.

Graham, C., Chattopadhyay, S., & Picon, M. (2010). The Easterlin and other paradoxes: Why both sides of the debate may be correct. International differences in well-being, 247-288.

Stevenson, B., & Wolfers, J. (2008). Economic growth and subjective well-being: Reassessing the Easterlin paradox (No. w14282). National Bureau of Economic Research.

Veenhoven, R., & Vergunst, F. (2014). The Easterlin illusion: Economic growth does go with greater happiness. International Journal of happiness and Development, 1(4), 311-343.

* In der modernen Glücksforschung wird häufig der Begriff subjektives Wohlbefinden dem des Glücks vorgezogen.

Foto: Pixabay

Von André Martens

André Martens ist studierter Philosoph und Psychologe mit mehrjähriger Erfahrung im Bereich der klinischen Psychologie. Er ist der Gründer des Blogs gluecksquellen.de. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich privat und professionell mit dem Thema Glück.

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