Warum bin ich nicht glücklich, Frau in sonnenbeschienenen Wald melancholisch

Warum bin ich nicht glücklich? Eine Frage, die sich wahrscheinlich jeder von uns schon einmal im Laufe des Lebens gestellt hat. In diesem Artikel stelle ich 12 Faktoren vor, die sich negativ auf das eigene Glück auswirken und „Glücksfresser“ darstellen. Eine wichtige Erläuterung dazu, warum in diesem Artikel nur wenige „naheliegende Gründe fürs Unglücklichsein genannt werden (z. B. sich in einer belasteten Beziehung befinden, frisch getrennt oder unzufrieden im Job sein), findet sich im Fazit dieses Artikels.

12 potenzielle Gründe, warum ich nicht glücklich bin

1. Ich bin nicht glücklich, weil meine Grundbedürfnisse nicht befriedigt sind

Die hinreichende Befriedigung unserer Grundbedürfnisse, so argumentierte ich in einem Artikel zum Thema Definition des Glücks, ist zentral dafür, dass wir glücklich sind und uns auch glücklich fühlen. Dies gilt speziell für psychische menschliche Grundbedürfnisse wie etwa Bindung, Anerkennung und Autonomie. Wenn unsere Bedürfnis-Ampel seit längerer Zeit auf rot steht und wir in unserem Leben nicht das bekommen und haben, was wir wirklich brauchen, dann wirkt sich das negativ auf unser Glück und auch unsere Gesundheit aus. Daher könnte es ratsam sein, wenn man sich gerade unglücklich fühlt, sich zu vergegenwärtigen, welche Bedürfnisse aktuell kaum oder gar nicht befriedigt werden, obwohl sie eigentlich eine große Rolle für mein Leben spielen.

2. Nicht glücklich sein aufgrund von Selbstentfremdung

Viele Menschen fühlen sich unglücklich, weil sie sich von sich selbst entfremdet haben und inauthentisch leben. Nicht mit sich selbst im Einklang, mehr Fassade denn Individuum. Der Psychotherapeut Rainer Sachse verwendet in diesem Zusammenhang gerne den Begriff der „Alienation“, womit bei ihm eine Entfremdung von den eigentlichen Zielen, Motiven, Wünschen, Bedürfnissen usw. eines Menschen bezeichnet wird. Ein Sonderfall kann die so genannte Smiling Depression sein. Ein Ausweg, falls man sich „selbstentfremdet“ fühlt, könnte also sein, wieder mehr „authentisches Ich“ zu wagen.

3. Glücksfresser überstarke Orientierung an den Zielen, Erwartungen, Werten usw. anderer Menschen

Dieser Punkt hängt eng mit den Punkten 1 und 2 zusammen. Denn wer sich von sich selbst entfremdet, der/die wird sich zumeist stark an anderen Menschen orientieren. Oft ist eine starke Orientierung an anderen und ihren Zielen, Erwartungen, Werten, Wünschen usw. auch überhaupt der Grund, warum man sich von sich selbst entfremdet fühlt. Das Problem ist aber, dass man dann die eigenen Bedürfnisse und ihre Befriedigung völlig aus den Augen verliert (vgl. Punkt 1).

4. Angst vor Veränderung und Neuem

Viele Menschen, die sich unglücklich fühlen, haben Angst vor Veränderung, vor Neuem, davor, dass sich Dinge in ihrem Leben grundlegend ändern und sie sich in der Folge an neue Umstände anpassen müssen. Das ist völlig verständlich. Veränderung kann Angst machen. Das Problem ist nur, dass sich manchmal unser Leben auch ohne unser Zutun verändert. Veränderung gehört zum Leben dazu wie das Amen in der Kirche. Wenn ich starr am „Alten“ festhalte, komme ich vielleicht nicht mehr so gut mit der Gegenwart zurecht. Ein Rezept für mehr Glück könnte dann sein, etwas mehr Mut zu wagen und die eigene Angst einfach mitzunehmen. Von der südafrikanischen Psychologin Susan David stammt der wunderschöne Satz: Courage is fear walking (in etwa: Mut ist Angst, die sich in Bewegung gesetzt hat).

5. Warum bin ich so unglücklich? Vielleicht aufgrund von Gefühlsvermeidung!

Viele Menschen vermeiden Gefühle. Häufig weil sie unangenehme Gefühle wie Wut, Angst und Traurigkeit nicht erleben möchten. In der Folge werden irgendwann aber meist auch die angenehmen „rausgefiltert“ und „ausgeblendet“. Obwohl meiner Meinung nach Glück mehr ist als bloß ein positiver Gefühlszustand (wie z. B. in diesen Artikeln zum Thema Glücksgefühle bzw. Zufriedenheit erläutert), können Gefühlsvermeidung – und stärker noch gänzliche Gefühllosigkeit – natürlich das Glück dämpfen oder uns sogar unglücklich machen. Ein Ausweg könnte sein, schrittweise wieder mehr Emotionalität zu wagen, ggf. auch mit professioneller Unterstützung.

6. Unglücklich sein aufgrund von fehlendem „Belohnungsaufschub“

Kennen Sie den berühmten Marshmallow-Test des US-amerikanischen Psychologen Walter Mischel? Dabei wurde untersucht, wie sich Kinder im Kindergartenalter verhielten, nachdem ihnen eine Belohnung (z. B. ein Marshmallow) versprochen wurde und sie alleine im Versuchsraum „ausharren“ mussten. Der Deal: Wenn sie es schaffen würden zu warten, bis der Versuchsleiter von alleine zurückkäme (ca. 15 Minuten), würden sie sogar zwei Marshmallows erhalten. Wenn sie ihn jedoch vorher selbst zurückriefen (z. B. weil ihnen langweilig geworden war oder sie ihre Belohnung sofort haben wollten), bekamen sie nur einen. (Möglicherweise besser für ihre Zahngesundheit …) Mischel und Kollegen fanden heraus, dass das Ausmaß der Fähigkeit, auf Belohungen länger warten zu können (der so genannte Belohnungsaufschub: einer sofortigen Belohnung widerstehen können), mit später besseren Schulleistungen der Kinder, oder allgemeiner gesprochen: leistungsbezogenem Erfolg im Leben, zusammenhing.

Marshmallows zur Illustration des Konzepts des Belohnungsaufschubs

Kurz: Ohne die Fähigkeit, geduldig, beharrlich und stetig zu sein, kein langfristiger Erfolg. Wer von Reiz zu Reiz „springt“, wird kaum langfristige Ziele erreichen und größere Hindernisse überwinden. Meine Hypothese hier lautet, dass die Fähigkeit zu einem zumindest gewissen Belohnungsaufschub auch wichtig für das eigene Glück und Glücksempfinden ist. Denn Glück ist nach meinem Verständnis nicht nur eine Aneinanderreihung von Lust und kurzen Glücksmomenten, sondern mehr eine „Großwetterlage“, für deren Entstehung und Aufrechterhaltung manchmal weite Wege gegangen werden müssen. Das gelingt nicht, wenn man immer nur impulsiv „zugreift“, sobald man irgendwo eine Chance zur Luststeigerung wittert (z. B. jede Party „mitnimmt“, ohne mögliche Konsequenzen zu bedenken). Manchmal muss man Durststrecken bewältigen, um Ziele zu erreichen. Und glücklich zu sein.

7. Ich fühle mich unglücklich, weil ich ständig nur erdulde und ertrage

Dieser Punkt ist eine Variation der Punkte 2 und 3. Als emotionale Überlebensstrategie bzw. Bewältigungsstrategie haben viele Menschen im Laufe ihres Lebens gelernt, Umstände zu erdulden und zu ertragen, die eigentlich unerträglich sind. Sie bleiben dann z. B. in missbräuchlichen und schädlichen Beziehungen, nehmen auf der Arbeit Aufgaben an, die sie völlig überfordern und langfristig einen Burnout begünstigen, oder opfern sich völlig für andere auf. Selbstredend wirkt sich dies negativ aufs eigene Glück aus, denn man ist dann quasi ein Spielball der Wellen auf dem offenen Ozean. Innerlich wachsen dann häufig die Anspannung und der Frust. Man denkt: Es muss doch endlich mal auch um MICH und MEINE Bedürfnisse gehen (siehe Punkt 1)! Wenn man aber immer nur erträgt und erduldet, wird es das leider nur dann, wenn es den anderen „in den Kram passt“. Und das ist im schlimmsten Fall am Sanktnimmerleinstag.

8. Glücksfresser (allzu) starke Vergangenheits- oder Zukunftsorientierung

Unglücklich machen kann auch eine allzu starke Vergangenheits- oder Zukunftsorientierung. Man hängt dann z. B. an dem fest, was war und sich nicht mehr ändern lässt (z. B. eine verpasste Chance, eine verlorene Beziehung). Oder man lebt in ständiger Planung oder Sorge bezüglich der Zukunft. Dabei verpasst man die Gegenwart. Glücklich aber ist man allerdings immer nur im Hier und Jetzt. Das Wörtchen „allzu“ ist meiner Meinung nach freilich durchaus wichtig. Denn natürlich kann sowohl die Vergangenheit (z. B. in Form schöner Erinnerungen) als auch die Zukunft (z. B. in Form der Vision eines glücklichen, guten Lebens) eine Glücksquelle darstellen.

9. Fehlende Selbstwirksamkeitserwartung und „passives Opfer der Umstände sein“

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das Konzept der Selbstwirksamkeit bzw. Selbstwirksamkeitserwartung (zurückgehend auf den kanadischen Psychologen Albert Bandura) eine Grundhaltung/Überzeugung, Fähigkeit oder aber ein genuines menschliches Bedürfnis bezeichnet. Gemeint ist jedenfalls das „Vertrauen einer Person, aufgrund eigener Kompetenzen gewünschte Handlungen auch in Extremsituationen erfolgreich selbst ausführen zu können“. Habe ich dieses Vertrauen nicht oder ist es nur sehr schwach ausgeprägt, fühle ich mich wie ein Opfer der Umstände. Denn ich glaube dann ja, keinen relevanten Einfluss auf mein Leben und den Lauf der Dinge zu haben und gewissermaßen nicht „effektiv“ zu sein. Das macht passiv, lethargisch und drückt nachweislich die Stimmung. Und ist somit ein wahrer Glücksfresser. Möglicherweise hängt das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung eng mit den Bedürfnissen nach Kontrolle und Orientierung, aber teilweise auch dem nach Autonomie, zusammen.

10. Sehr viel Zeit mit unglücklichen Menschen verbringen

Ein Punkt, der oft in Listen potenzieller Glücksfresser ausgespart wird, um niemanden zu verletzen. Aber er ist meines Erachtens sehr wichtig. Glück zieht tendenziell (!) Glück an, Unglück Unglück. Unsere engsten sozialen Beziehungen prägen uns. Und wer viel exposure (Ausgesetztsein) mit den Gefühlen, Gedanken und Verhaltensweisen unglücklicher Menschen hat, wird hiervon früher oder später, u. a. je nach eigener Resilienz, auch im eigenen Glück(sempfinden) beeinflusst werden. Das soll ausdrücklich kein Appell sein, Menschen im Unglück im Stich zu lassen und eine jede Unterstützung und Förderung einzustellen! Aber vielleicht lohnt es sich, wenn man ein hohes exposure hat, regelmäßig zu reflektieren, wie man seine eigenen Ressourcen stärken, Batterien aufladen und Glücksquellen anzapfen kann, um nicht selbst in einen Strudel des Unglücks zu geraten (vgl. hierzu auch das Konzept der emotionalen Ansteckung bzw. emotional contagion).

11. Übertriebene Erwartungen an das eigene Glück stellen

Einige Menschen, so mein Eindruck, erwarten vom Glück schlicht und einfach zuviel. Sie verstehen es als Zustand dauerhafter Freude oder Lust, und geraten in Unruhe, sobald ein Tag mal einfach „nur“ normal verläuft. Zu den Themen Glücksfallen, Toxische Positivität und positive vibes only gibt es verschiedene weiterführende Artikel auf diesem Blog.

12. Pessimismus, Negativismus und Co.

Viele Menschen haben aufgrund von negativen Lebensereignissen und -erfahrungen eine dunkel getönte Brille auf, durch die sie auf sich selbst, andere und die Welt schauen. Das Glas ist dann halbleer statt halbvoll, drei Kartoffeln auf dem Teller in der Kantine sind ein Skandal, wenn der Vordermann vier auf dem Teller hat usw. Meist ist es allerdings nicht nur der Aufmerksamkeitsfokus, der den Blick gen „Unglück“ verschiebt, sondern auch das Mindset des Menschen, das mit oben erwähnten Prägungen zusammenhängt. Hier helfen häufig nur geduldig-zugewandte Angehörige, viel korrigierende Erfahrung und/oder professionelle Hilfe, um wieder mehr Glückserleben im Leben zu ermöglichen.

Fazit: Warum bin ich nicht glücklich? (+ wichtiger Hinweis)

In diesem Artikel habe ich zwölf möglich Gründe vorgestellt, weshalb sich Menschen nicht glücklich fühlen mögen. Die Auflistung ist natürlich unvollständig und subjektiv. Ich freue mich sehr über eure Rückmeldungen und eigenen Ansichten zu diesem Thema unten in den Kommentaren.

Abschließend möchte ich noch kurz erläutern, warum in diesem Artikel viele „naheliegende Glücksfresser bzw. Gründe fürs Unglücklichsein nicht aufgetaucht sind. Von welchen spreche ich? Beispielsweise von:

  • „Ich habe keine/wenige Freunde
  • „Das Verhältnis zu meiner Familie ist stark belastet
  • „Ich habe einen oder mehrere Schicksalsschläge erleben müssen, z. B. Todesfälle
  • „Mein Job befriedigt mich nicht
  • „Ich fühle mich völlig überfordert (im Privaten, im Job usw.)
  • „Ich habe kaum Hobbys und Interessen
  • „Ich habe keine Ziele
  • „Ich fühle mich einsam
  • „Ich bin traumatisiert worden
  • „Ich habe finanzielle Sorgen/Not
  • „Ich habe starke Selbstweifel
  • „Ich habe eine Depression
  • „Ich habe keinen Sinn im Leben

All diese Punkte sind ebenfalls potenzielle Glücksfresser! Und sie sind intuitiver als viele Punkte in meiner obigen Auflistung. Der Grund, weshalb ich sie trotzdem nur hier im Appendix erwähne, ist der folgende: Ich glaube, sie alle weisen auf eine kurz-, mittel- oder langfristige Bedürfnisfrustration hin. Es folgen mögliche Bedürfnis-Kandidaten, die man sich jedoch im Einzelfall genauer anschauen müsste:

  • „Ich habe keine/wenige FreundeBindung, Zugehörigkeit, Geborgenheit
  • „Das Verhältnis zu meiner Familie ist stark belastet → Bindung, Zugehörigkeit, Geborgenheit
  • „Ich habe einen oder mehrere Schicksalsschläge erleben müssen, z. B. Todesfälle → Bindung, Kontrolle u. a.
  • „Mein Job befriedigt mich nicht → z. B. Sinnerleben, Spiel & Spaß, Lustgewinn, Unlustvermeidung
  • „Ich fühle mich völlig überfordert (im Privaten, im Job usw.) → Erholung, Spiel & Spaß, Lustgewinn, Unlustvermeidung u. a.
  • „Ich habe kaum Hobbys und Interessen → Spiel & Spaß, Lustgewinn
  • „Ich habe keine ZieleOrientierung u. a.
  • „Ich fühle mich einsam → Bindung, freier Ausdruck von Gefühlen und Bedürfnissen u. a.
  • „Ich bin traumatisiert worden → Sicherheit, Bindung, Kontrolle u. a.
  • „Ich habe finanzielle Sorgen/Not → Kontrolle u. a.
  • „Ich habe starke SelbstweifelSelbstwerterhöhung und -schutz u. a.
  • „Ich habe eine Depression → Selbstwirksamkeit, Lustgewinn u. v. m.
  • „Ich habe keinen Sinn im Leben → Sinnerleben u. a.

Von daher ließen sich möglicherweise auf Grundlage meiner persönlichen Theorie des Glücks (Glücksdefinition), wonach Glück wesentlich mit der Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse zusammenhängt, viele der vorgenannten Glücksfresser über eine Grundbedürfnisfrustration erklären (siehe Punkt 1!).

Dies gilt übrigens abgewandelt auch für die Frustration physiologischer Grundbedürfnisse, etwa durch Armut, Kriege, Vertreibung, Naturkatastrophen usw.

Übrigens: Einen ausführlichen Test, ob du aktuell ein hohes Ausmaß an Unglücklichsein aufweist, findest du in diesem Artikel: Bin ich unglücklich?

Von André Martens

André Martens ist studierter Philosoph und Psychologe mit mehrjähriger Erfahrung im Bereich der klinischen Psychologie. Er ist der Gründer des Blogs gluecksquellen.de. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich privat und professionell mit dem Thema Glück.

2 Gedanke zu “„Warum bin ich nicht glücklich?“”
  1. habe mit großem Interesse die beiden Blöcke gelesen, studiert. Aber auch die Bedingungen von Google und Co. gelesen, studiert. Da hättest du einen Dr. verdient.

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