Zeus Donner auf dem Meer
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Über eine Kajakfahrt auf dem Meer, eine Pechserie und das Glück in der Natur.

Ich hatte mich mit meinem Kajak bereits einige hundert Meter vom Steg des Hotels entfernt, als das erste Unglück geschah, wenn man es in der Rückschau denn so bezeichnen will. Mein Doppelpaddel brach entzwei. Ich hatte ein wenig Glück, denn ich konnte das sanft gen Meeresgrund sinkende Paddel noch gerade so greifen. Weiter ging es also nur mit einem Paddel.

Vielleicht hätte ich umdrehen sollen, zurück zum Bootsverleih, mir ein neues Paddel besorgen. Doch ich wollte weiter, am Inselufer entlang, um Biegungen herum, aus dem Sichtfeld des Hotels heraus, hinein ins Abenteuer.

Und dann geschah das zweite Unglück, schleichend und Zug um Zug. Ich spürte es, bevor ich es sah. An meinem rechten Daumen hatte ich mir ein beträchtliches Stück Haut abgerieben. Das Salz des Meeres ließ mich meine Wunde spüren. Das frühsommerliche Wasser wärmte und schmerzte.

Über mir noch die Sonne, schwach und schwächer werdend. Ganz untypisch für diese Jahreszeit, diese griechische Insel unweit der Türkei.

Vielleicht hätte ich umdrehen sollen. Doch ich wollte weiter. Ich wollte ferne Strände erkunden, die nur vom Wasser aus erreichbar waren. Also kämpfte ich gegen die Strömung, die sich mir aus dem Norden entgegenstellte wie ein unsichtbarer Widerstand.

Noch ein paar Kilometer entfernt

Es ging weiter, langsam, sehr langsam, Zug um Zug. Als sich ein drittes Unglück ankündigte.

Zu meiner Linken fiel die Phrygana steil ins Meer, diese üppig-karge Landschaft aus niedrigem Busch- und Strauchwerk. Noch aus der Ferne stieg mir der Duft der holzigen Gewächse in die Nase. Das Ufer glich einer scharfkantigen Kraterlandschaft. Kein Strand in Sicht, bloß sich über der Erhebung dunkel, immer dunkler auftürmende Wolken, jeder Wetterapp zum Trotz, jeder Ankündigung, jeder Vermutung. Und dann der erste Regentropfen. Und dann der erste Donner. Noch fern. Ich schätzte, ein paar Kilometer. Oder täuschte ich mich?

Ich paddelte schneller, immer schneller.

Gewitter auf dem Meer, und ich mittendrin. Das durfte nicht sein. Das hätte nicht sein dürfen.

Ich paddelte und paddelte, mit schmerzender Hand und gebrochenem Paddel, erst nah ans Ufer heran, um im Fall der Fälle mein Glück auf einem Felsen zu suchen. Um eine Biegung und noch eine, bis ich tatsächlich einen Strand sah, fern, doch das mochte auf dem Meer leicht täuschen. Kieselig, ohne rechte Idylle, und doch Schutz verheißend.

Ich nutzte inzwischen ein Handtuch und eine mitgebrachte Hängematte als notdürftigen Schutz gegen die sich zu einem Platzregen gesteigerte celestiale Entleerung, diesen Sommerregen zur Unzeit. Schnaufend und schwitzend erreichte ich den entlegenen Strand. Kein Mensch war weit und breit zu sehen. Nur Müll, der auf früheren Besuch hinwies und eine Art Gerüst, über das Netze gelegt waren und von Wind und Wetter in Mitleidenschaft gezogene Platten.

Unter Zeus‘ Donner

Ich zog das Kajak an Land. Jetzt, da der Donner entgültig das Meer erreichte und die Naturgewalten miteinander zu ringen begannen, als seien Zeus und Poseidon miteinander in Streit geraten, der Gott des Donners und der Gott des Meeres.

Die Sonne verschwand. Vom frühlingsartigen Geruch der letzten Tage war nichts mehr übrig als Nuancen, versteckt im Petrichor. Ich baute mir einen notdürftigen Schutz unter den Netzen und Platten. Überall leckte es, ich war völlig durchnässt. Hungrig und geschafft. Fühlte mich ein wenig wie Robinson Crusoe. Wie ein Abenteurer wider willen. War ebenso demütig ob des Naturspektakels wie glücklich. Erinnerte mich an den Begriff, den ich vor kurzem gelesen hatte: Ayurnamat.

Und irgendwann legte sich der Streit. Zurück blieben ein freudig trüber Himmel und ein seltsam glattes Meer, eine Erinnerung und ein Moment des Glücks.

Kajak am Meer auf Kieselstrand

Fotos: André Martens

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  • André Martens, Glücksquellen

    André Martens ist studierter Philosoph und Psychologe mit mehrjähriger Erfahrung im Bereich der klinischen Psychologie. Er ist der Gründer des Blogs gluecksquellen.de. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich privat und professionell mit dem Thema Glück.

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