Der norwegische Autor Tomas Espedal hat zahlreiche Erzählungen verfasst, die von den wichtigsten Themen der Menschheit handeln, etwa von Liebe und Tod. Auch über das Glück hat er geschrieben, prominent in „Wider die Natur“, einem der schönsten Texte dieses begnadeten Schriftstellers. Der Glücksimpuls des Tages.
In einer Silvesternacht finden ein älterer Mann und eine (deutlich) jüngere Frau zusammen und verlieben sich ineinander. Der ältere Mann hat Skrupel, scheint ihm das Ganze doch wider die Natur zu sein, wie ja auch der Titel der Erzählung Tomas Espedals lautet. Doch der Stein ist bereits ins Rollen gekommen. Der Ich-Erzähler, in dem unschwer wesentlich der Autor selbst zu erkennen ist, liebt und lebt, bis das große Liebesglück eines Tages endet und Janne, so heißt die junge Frau, auszieht. Es folgen Tage und Wochen, in denen der Erzähler leidet und lebt. Er hat das größte Glück seines Lebens erfahren, und dieses wieder verloren.
Er beginnt darüber zu schreiben, er, der Schreiber, der bereits bekannte norwegische Autor. Einsam und liebeskrank füllt er im Keller seines Hauses – ja, Dostojewski und so … – Seite um Seite, fügen sich schließlich Erinnerungen und Betrachtungen zu einem Ganzen, das den Leser mit auf eine lange, kurze Reise durch sein bisheriges Liebesleben einlädt. Von drei Lieben handelt die Erzählung. Das Ende der dritten Liebe beschenkte trotz allen Leids und durch alles Leid hindurch uns Leserschaft mit diesem wundervollen Text.
Gegen Ende der Erzählung taucht im Text „Ein kleines Buch über das Glück auf“. Dort heißt es:
Lange träumte ich davon, eine Serie von kleinen Büchern zu schreiben. Ein kleines Buch über die Liebe. Ein kleines Buch über Freundschaft. Ein kleines Buch über das Schreiben. Ein kleines Buch für meine Tochter. Ein kleines Buch über das Glück usw. Das Buch über das Glück kann ohnehin nicht besonders dick werden. Nicht dick, und auch nicht besonders tief, die glückliche Sprache ist einfach und banal, es gibt keine Tiefe im Glück, oder etwa doch? Das Buch über das Glück muss kurz sein. Kurz und fragmentarisch, eine zusammenhängende Erzählung über das Glück zu schaffen, ist unmöglich. Keine Chronologie. Keine Logik oder Vernunft; es ist nicht möglich, einen Roman über das Glück zu schreiben.
Tomas Espedal, Wider die Natur, S. 115
Später schreibt er, da ist Janne noch da:
Wie schreibt man über das Glück? Was soll ich über das Glück schreiben, wenn es so einfach und alltäglich ist, so still und durchsichtig wie: sie lag auf dem Sofa und ich sah sie fast nicht, weil ich mich so daran gewöhnt hatte, dass sie auf dem Sofa lag und sich ausruhte. (…) Was las sie? Kümmerte ich mich gar nicht darum, was sie las, wie ihr Atem das Wohnzimmer mit Glück füllte? Ich war in meinem Leben nie so glücklich. Erst als sie nicht mehr auf dem Sofa lag, als sie ausgezogen und unsere Beziehung beendet war, erst als sie fort war und das Sofa groß und leer in der Wohnzimmerecke stand, begriff ich, wie glücklich ich gewesen war.
Tomas Espedal, Wider die Natur, S. 121
Und dann schreibt Espedal über das Glück:
Ich weiß jetzt, dass das Glück schwer zu beschreiben ist; es führt sein eigenes stilles, unsichtbares Leben mitten im Alltag der Liebenden. (…) Begriff ich, was für ein Glück darin bestand, dass sie auf dem Sofa lag und las? Dass wir zusammen abendessen würden? Ich dachte nicht darüber nach; ich war glücklich. So, so glücklich. (…) Man kann fast nichts über das Glück sagen. Es ist in allem, was wir sagen und tun, und wir wissen nicht einmal von ihm.
Tomas Espedal, Wider die Natur, S. 122f.
Jahrelang war es da, das Glück, unbenannt, in den Alltag verwoben, versteckt hinter der Offensichtlichkeit. Und dann ist es fort, zumindest in dieser Erzählung, in diesem Leben. Vielleicht ein Anlass für uns, hinzuspüren, hinzusehen, um uns herum, wahrzunehmen, was wir bereits haben, wie schön das Leben sein kann, wie glücklich wir schon sind mit vielem.
Tomas Espedal schreibt an anderer Stelle:
Das größte Glück besteht vielleicht darin, dass etwas unverändert bleibt (…).
Tomas Espedal, Wider die Natur, S. 119
Wie geht es euch mit Espedals Ausführungen zum Glück? Schreibt eure Gedanken gerne unten in die Kommentare. Für alle Interessierten empfehle ich sehr das Original, als gebundene Ausgabe bei Matthes & Seitz, als Paperback bei suhrkamp.
Noch mehr Zitate gefällig? Sehr gerne:
- Glück bei Fontane
- Glück bei Montesquieu: Glücklich, glücklicher, am glücklichsten?
- Glück, stoisch verstanden
Foto: Pixabay
Man sollte das Glück noch viel mehr ausbuchstabieren. Jeden Tag das greifbare Glück, als das, was es ist erkennen, fixieren wahrnehmen. Es ist zu spät, es erst hinterher zu erkennen. Wenn das Sofa leer ist kann man das Glück nicht mehr, kann man es nicht mehr zu rück holen.