Über das Fernweh und welchen Bezug es zum Thema Glück hat.
Die „Geschwister“ Fernweh und Heimweh
Es gibt so schöne Wörter, die schmerzgetränkt sind. Das Geschwisterpaar Fernweh und Heimweh gehört für mich zu dieser Kategorie. Beide Wörter, so zumindest meine Recherche, haben eine vergleichsweise kurze Begriffsgeschichte, wobei Heimweh erstmals im 17. Jahrhundert dokumentiert wurde, Fernweh hingegen ab ca. 1835, geprägt durch verschiedene Veröffentlichungen des Weltreisenden Fürst Pückler-Muskau.
Das leuchtet ein. Zwar war die „Ferne“, in der das Heimweh erst so richtig entstehen kann und die zugleich der Zielpunkt des sehnsuchtsvollen Fernwehs ist, für die meisten Menschen in unseren Breiten erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts durch Reisen bzw. Tourismus erfahrbar. Doch schon in den Jahrhunderten zuvor reisten vor allem Menschen bestimmter Bevölkerungsschichten an ferne Orte, und zwar nicht nur der Politik und des Handels wegen, sondern beispielsweise auch aus religiösen Gründen (Pilgerreisen usw.) oder um sich zu bilden, Sprachkenntnisse zu erweitern oder sich zu vergnügen.
Dabei meinte Ferne meist nicht am anderen Ende der Welt. Bereits die Alpen waren für einen Norddeutschen unglaublich weit entfernt. Zumal bis ins 19. Jahrhundert hinein Menschen überwiegend zu Fuß, mit der Kutsche, zu Pferd oder auf Segelschiffen reisten. Langsam gesellten sich weitere Transport- und Verkehrsmittel wie Eisenbahnen und Dampfschiffe, später Autos, Busse, Flugzeuge u. v. m. hinzu.
In der Romantik nahm die Zahl der Reisenden bzw. Touristen deutlich zu (vgl. das bürgerliche Reisen). Thomas Cook gründete das erste Reisebüro, wer es sich leisten konnte, den zog es in die Sommerfrische oder Ende des Jahrhunderts gar zum Skilauf in die Berge. Ein bisschen vergleichbar mit dem antiken Hellenismus wendeten sich in dieser Zeit zugleich einige (gewissermaßen privilegierte) Menschen verstärkt inneren Welten jenseits des Verstandes zu, Träumen, Mythen und Sagen. Die Themen Liebe und vor allem Sehnsucht nahmen viel Raum in den Künsten ein. Man denke etwa an Gemälde von Caspar David Friedrich oder Werke von Robert Schumann.
Fernweh weist auf einen Mangel hin
Ich bin kein Philologe, geschweige denn Historiker, ich kann mir jedoch vor dem Hintergrund all dieser Entwicklungen gut vorstellen, warum dieses schmerzhaft-schöne Wörtchen Fernweh offenbar immer mehr Verbreitung fand. Die Ferne war nicht mehr eine reine Ausgeburt der eigenen Phantasie nach dem Hören oder Lesen einer Geschichte oder eines Reiseberichts. Sie geriet für immer mehr Menschen in den Bereich des Erreichbaren.
Als Pendant zum Heimweh weist das Fernweh auf einen Schmerz, eine unerfüllte Sehnsucht, einen Mangel hin. Etwas fehlt. Etwas in mir ist unbefriedigt. Und, so die Hoffnung, diesen Hunger werde ich irgendwo in der Ferne, in fremden Landschaften, Orten, Ländern, Kulturen, Nationen befriedigen können. Fernweh meint den Drang, den Wunsch, die vertrauten Gefilde, das Bekannte, zu verlassen und eine Welt jenseits davon zu erschließen. Oft geht es mit Vorfreude einher, aber auch Ängste können auftreten.
Dem Fernweh nachzugeben beinhaltet die Hoffnung, fern von daheim, fern von hier, etwas Ersehntes zu finden.
Fernweh als Flucht?
Fernweh wäre in diesem Sinne auf ein Ziel hin ausgerichtet. Man könnte sie aber auch anders verstehen: nämlich als einen Fluchtimpuls. Im Fernweh (und vielleicht dem tatsächlichen Aufbrechen, Reisen) entfliehe ich einem Mangel. Fernweh wäre dann eine Art Flucht. Vielleicht vergleichbar mit den Wanderjahren oder Reisen vieler (z. B.) Künstler, die sich in der Ferne selbst finden wollten, die um die Welt, an ferne Orte reisten, um teilweise am Ende festzustellen, dass sie dort das Gesuchte auch nicht finden konnten. Oder dass dieses sogar zurück der in der Heimat auf sie wartete, und sie es all die Zeit über einfach nicht gesehen hatten.
Diese Form des Fernwehs hat einen eskapistischen (Flucht-)Charakter. Sie ist, wie es so schön im Blog Feine Seele heißt, eine Sehnsucht nach einem schöneren Ort.
Sättigendes Fernweh?
Die Frage, die sich jeder wohl nur selbst beantworten kann, lautet dann: Wer sich dem Fernweh hingibt, wird er/sie in der Ferne beim Ersehnten ankommen? Und: Hunger will gestillt werden, Fernweh auch. Doch ist das Fernweh erst einmal gestillt, was dann?
Ich kann all jene verstehen, die der Ansicht sind, dass Fernweh oft einer Flucht vor bestimmten widrigen Umständen (Stress, Unsicherheit, Anspannung, Krisen, Abschwung, Langeweile, Rezession, Stagnation usw.) oder gar vor sich selbst ähnelt. Dennoch habe ich ein positiveres Verhältnis zu diesem Begriff.
Ähnlich wie in anderen traurigschönen Sehnsuchtsbegriffen (Saudade, Melancholie, Heimweh usw.) verbirgt sich in ihm auch eine erstaunliche Kraft und Wärme. Ja, vielleicht verspüren vor allem jene Menschen Fernweh, die mit dem Hier und Jetzt nicht ganz zufrieden sind. Manchmal ist ein Aufbruch, ein Verlassen des Alten, ja aber auch gerade die beste Lösung eines Problems. Nicht alles kann verändert und gestaltet werden. Und vielleicht sucht unsere aufgewühlte oder gelangweilte Seele anderswo Stimulation, Befriedigung und Sättigung. Und sei es nur temporär.
Verbindung zum Glück?
Beim Begriffspaar Heimweh/Fernweh denke ich unmittelbar an das Grundbedürfnis-Paar Bindung und Autonomie. Während Bindung auf das Gefühl des gesicherten emotionalen Zuhauseseins (Heim) verweist, zielt Autonomie auf Selbstbestimmung ab, auf die freie Gestaltung des eigenen Lebens vor dem Hintergrund unserer eigenen Bedürfnisse und Werte. Heimweh wäre entsprechend ein Signal für ein, vereinfacht gesagt, unbefriedigtes Bindungsbedürfnis. Fernweh hingegen für ein unbefriedigtes Autonomiebedürfnis. Dieser noch groben Idee werde ich in einem späteren Artikel noch einmal nachgehen.
In dem Artikel Glück: (M)eine Definition des Begriffs habe ich argumentiert, dass Glück eine hinreichende Befriedigung verschiedener Grundbedürfnisse erfordert. Entsprechend könnte eine individuelle Balance aus einem Zuhause-Gefühl und dem Folgen des Rufs der Ferne zum eigenen Glück beitragen. Denn dem Fernweh nachzugeben muss ja nicht bedeuten, für immer in der Ferne zu weilen und dort die Lösung aller Probleme zu erwarten.
Noch mehr Inspirationen gefällig? Sehr gerne:
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