Keyif, verbildlicht als Impression aus Istanbul am Bosporus

Keyif bezeichnet eine ganz besondere Form der guten Laune. Alles über diesen komplexen türkischen Begriff. Der Glücksimpuls des Tages.

Keyif: ein komplexer Gute-Laune-Begriff

Das türkische Wort keyif kennt offenbar keine einfache Übersetzung, es scheint trotz seiner nur fünf Buchstaben äußerst komplex zu sein. Gefunden habe ich: gute Laune, Vergnügen, Lust, gute Stimmung, Wohlbefinden, Rausch, Schwips, Verlangen, Einfall, Aufmunterung, Behagen, Wohlgefallen, Annehmlichkeit, Ausgelassenheit und viele weitere Übersetzungen … Wow. Was für ein Wort!

Da ich kein Türkisch spreche, muss ich beim Erfassen der Bedeutung von keyif diesen Übersetzungsmöglichkeiten vertrauen. Gestoßen bin ich auf diesen Gute-Laune-Begriff einmal mehr durch Megan C. Hayes‘ wundervollen „Atlas of Happiness“. Dort wird weniger ein lustvoll-hedonistischer Charakter von keyif betont, als vielmehr ein Erholungscharakter („Angenehmer Zustand der Entspannung und des Wohlbefindens“). Mit keyif gehe gewissermaßen eine wohlige Entspannung durch Nichtstun einher, im Gegensatz zur Entspannung, die wir aktiv zu „erzeugen“ versuchen. Zum Beispiel beim Yoga, in einer Sauna oder bei einer Massage. Es sei die „Kunst wohligen Ausruhens“ bzw. eine „vertiefte Art der friedlichen Genügsamkeit“, etwa wenn man einfach nur still dasitzt und eine Landschaft betrachtet. Das Ziel, wenn man es denn überhaupt noch so bezeichnen mag, ist es, „einfach alles sein zu lassen, körperlich wie mental, und das Hier und Jetzt zu genießen“.

Das süße Nichtstun

Ohne, wie gesagt, des Türkischen mächtig zu sein, drängt sich für mich eine gewisse Nähe zum italienischen Ausdruck des dolce far niente, des süßen Nichtstuns, auf. Auch hier gibt es Anklänge der guten Laune und Freude, aber auch des Müßiggangs und Muße, der süßen Untätigkeit und Trägheit (in einem Abbiocco zur Perfektion getrieben!) oder, ohne Wertung gemeint, der freudigen Faulheit.

Beide Ausdrücke, keyif und dolce far niente, zeigen uns, dass Entspannung oder ein Zustand des freudvollen inneren Friedens nicht immer nur durch Aktivität und ein bemühtes Tun hervorgerufen wird, sondern bisweilen durch ein bewusstes, lässiges Nichtstun.

Ich sehe mich in einem wuseligen Istanbuler Viertel in einem Straßencafé sitzen, vor mir ein starker Schwarztee. Ich schließe die Augen. Sauge die Gerüche und Geräusche der Stadt ein, lasse sie durch mich hindurchströmen, einfach sein, während ich mit geschlossenen Augen immer ruhiger und seliger werde und sich ein wohliger Zustand untätiger Freude einstellt. Das, in etwa, assoziiere ich mit dem Wort keyif, das ich wohl niemals völlig durchdringen werde.

Türkischer Tee vor Istanbul-Kulisse: ein Moment des Keyif

Muttersprachlerinnen und -sprachlern wäre ich natürlich für Kommentare zur Bedeutung von keyif sehr dankbar.

Und noch ein paar verwandte Glücksimpulse:

Foto: Pixabay

Von André Martens

André Martens ist studierter Philosoph und Psychologe mit mehrjähriger Erfahrung im Bereich der klinischen Psychologie. Er ist der Gründer des Blogs gluecksquellen.de. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich privat und professionell mit dem Thema Glück.

Ein Gedanke zu “Keyif – die Kunst des gut gelaunten Nichtstuns (Glücksimpuls Nr. 28)”
  1. keyif. Bei uns heißt es, „Vogelkucken “ wenn abends das Licht schwindet und die Bäume nur noch als Schattenriss zusehen sind. Dann dasitzen und aus dem Fenster schauen. Man kann keinen Vogel sehen weil es zu dunkel ist und trotzdem, das nennen wir Vogelkucken.

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