Glück der Stille - illustriert durch Bänke um einen Laubbaum auf einer Sommerwiese
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Viele Menschen verspüren eine Sehnsucht nach mehr Stille in ihrem Leben – und haben zugleich Angst vor dem Zur-Ruhe-kommen. Ein kurzer Essay über die Stille in einer lauten Zeit, und wie sie vielleicht mit dem Glück zusammenhängt.

Wir leben in einer lauten Zeit, in einer lauten Welt. Und manchmal denke ich, sie wird tagtäglich noch ein wenig lauter.

Ich meine das wörtlich, aber auch im übertragenen Sinne.

Mit Welt meine ich – ja, was eigentlich? Die Großstadt in der ich lebe? Den Stadtteil? Oder vielleicht Deutschland? Den ganzen Globus? Jede Leserin, jeder Leser hat sicherlich eine eigene Perspektive und persönliche Erfahrungswerte.

Liegt es an einer gesellschaftlichen „Überspannung“, wie ein Freund von mir es kürzlich ausdrückte? Menschen, die zunehmend aggressiv Auto fahren, auf die Palme gehen, nörgeln, meckern – und dies laut kundtun –, sich scheinbar (faktisch) möglichst laut verhalten. Die das Maß des Erträglichen und Erduldbaren maximal ausreizen und ihre Umwelt gewissermaßen ausfüllen wie einen zuvor leeren Raum, den sie nicht ertragen?

Eine Nachbarin ist seit ca. dem Jahr 2020 vom „normalen Gang“ schleichend zum Stampf-Fersenschritt übergegangen. Wenn sie kocht, leiden die Kochlöffel, zieren wohl tiefe Narben das Holz. Ich frage mich, ob ihr der Wandel bewusst ist. Ich frage mich, ob sie glücklich ist.

Pandemie, Ukraine, Nahost u. v. m.

Rezession, Migration, Depression u. v. m.

Bilderflut. Medienflut. Diskursflut. Informationsmüll. Datenschwemme.

Desinformation und Meinungsmache. Agenda-Setting. Lobbyismus. Orwell’sche und Huxleyianische Alpträume.

Heischen nach Aufmerksamkeit. Ziehen und Zerren. Bitten und Betteln.

Wirtschaftlicher Niedergang und „letzte Party“?

Ach. Ich persönlich weiß es nicht. Dies hier ist keine Diagnostik, schon gar keine Diagnosestellung. Mir geht es um das „Symptom“ Lärm.

Was ich aber aus Gesprächen weiß: Viele Menschen sehnen sich nach mehr Stille. Nach dem Glück der Stille. Nach Momenten ohne all das Gerausche und Gewusel, den Schrecken und die Ängste, Beschwernisse und Sorgen. Den ganzen Aufruhr und all die Verwerfungen und Verschiebungen.

Glück der Stille – Glück in der Stille?

Stille, so schreibt Anselm Grün in seinem Buch In die Stille finden, hänge zwar mit dem Schweigen zusammen, sei aber nicht mit jenem identisch.

Die Stille umgibt uns – eigentlich – immer schon. Sie ist vorgegeben. Auch wenn einzelne Ereignisse sie durchbrechen. „Zerstören“.

Unser Über-Tönen löst sie auf. Das nach außen dringende Tönen, aber auch das innere.

Damit soll nicht gesagt sein, dass Stille das ultimative Glück des Lebens ist. Glück und Freude sind mit lauter, vernehmbarer Heiterkeit ebenso verbunden wie mit stillem Genuss.

Stille, im Glückssinne, ist auch nicht mit Totenstille und der Abwesenheit des Lebens zu verwechseln. Mitnichten! Im Gegenteil.

Doch ich glaube, dass das gegenwärtige vom Inneren ins Außen dringende Übertönen, oder sagen wir: das übermäßige Tönen, uns ihrer zunehmend beraubt. Und mit ihr auch einer Quelle des Glücks.

Interessant finde ich in diesem Zusammenhang die Etymologie des Begriffs Stille bzw. still, wie sie beispielsweise hier beschrieben wird. Da ist von unbeweglich stehend die Rede, wie ein Pfosten, Stamm oder Stiel. Und es gibt auch ein Verb, stillen: beruhigen, zum Schweigen bringen, befriedigen. In Bezug auf einen Säugling: die Brust geben, durch Nahrung beruhigen.

Man denke an einen satten Säugling, dem sanft die Äuglein zufallen.

Gestillter Säugling

Das klingt ganz anders, und sieht auch ganz anders aus, als ein unbeweglicher Pfosten. Es klingt nach Beruhigung. Nach einem Zustand der Befriedigung von Grundbedürfnissen. Frieden. Wohligkeit. Nach der Beseitigung eines Mangels.

Vielleicht ist es etwas Derartiges, nach dem sich viele Menschen sehnen, die nach mehr Stille im Alltag suchen. In Parks, Gärten, auf Spaziergängen. In der Meditation. Oder außerhalb des Alltags. Auf Wanderungen, in Retreats, Klöstern u. v. m.

Stille als Bedürfnis

Ich glaube, Stille zu erfahren, ist ein menschliches Bedürfnis.

Sie befriedigt offenbar etwas in uns, behebt einen Mangel, ein Defizit.

Und sie vermag uns weiter zu uns selbst, unserem Kern, zu bringen.

Auch das „steckt“ etymologisch im Wörtchen still: verborgen, geheim, heimlich. Ein verborgener, riesiger Kosmos tief in uns drinnen. Vielleicht ja durch die Stille hindurch erreichbar.

Übermäßiges Tönen mag Ausdruck von „Überspannung“, passiver Aggression, offener Aggression, Unzufriedenheit, Frust, Mangel und dergleichen sein. Oder eine Ablenkung von etwas innerem Unerlösten oder innerer Aufruhr, die sich schier nicht aushalten lässt. Das lässt sich wahrscheinlich nur im Einzelfall bestimmen. Vielleicht wäre dann ja zeitweises Schweigen, zur Ruhe kommen, ein Weg zu breiteren Glückserfahrungen.

Im Schweigen wird es in uns meist plötzlich ganz laut. Kommen Gedanken und Gefühle, die wir nicht alle mögen und haben wollen. Und es kommen Erinnerungen und Zweifel. Wir sehen die bewegte Meeresoberfläche und spüren das aufgewühlte Darunter.

Doch nur so ist irgendwann auch die Stille erreichbar, die uns immer schon umgibt. Die ebenso Teil der Welt und des Lebens ist wie all die Töne, wie Stimme, Gesang, Lärm und Geräusch. Und die ebenso Teil des Glücks ist.

Und was denkt ihr über die Stille? Ist sie für euch eine Kraft- und Glücksquelle? Oder könnt ihr eher weniger mit ihr anfangen?

Für alle, die die Stille in der Natur suchen, ein paar Inspirationen zur Vertiefung:

Stille an einem Kanal in einer Großstadt, ein Glücksmoment?

Fotos: Pixabay & André Martens

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  • André Martens

    André Martens ist studierter Philosoph und Psychologe mit mehrjähriger Erfahrung im Bereich der klinischen Psychologie. Er ist der Gründer des Blogs gluecksquellen.de. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich privat und professionell mit dem Thema Glück.

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