Ausgehend von einer Textstelle in einem Roman widmet sich der heutige (philosophische) Glücksimpuls des Tages der Frage, ob sich Glück genießen lässt.
Heute stieß ich bei der Lektüre des Romans Der Pole des südafrikanisch-australischen Autors und Literaturnobelpreisträgers J. M. Coetzee auf eine interessante Formulierung, die mich zum Nachdenken über das Verhältnis von Glück und Genuss anregte.
Zusammengefasst (seiner Komplexität dabei wenig gerecht werdend) handelt der recht schmale Roman von der Liebe eines alternden polnischen Pianisten zu einer jüngeren spanischen Frau, die für kurze Zeit seine Gastgeberin war.
Das Glück genießen
Gegen Ende, nach reichlich Verweisen auf Dante und antike Mythologie, heißt es dort:
(…); und sie traut dem Polen zu, dass er, wenn er nicht in seine Musik und seine Dichtung vertieft war, diesen Glauben teilte – dass er nicht wirklich glaubte, es gäbe ein anderes Leben in einer anderen Welt, in der sie beide sich wiederfinden und das Glück genießen würden, das der Zufall ihnen in ihrer ersten Inkarnation vorenthalten hat. (S. 132)
Welch interessante Formulierung: das Glück genießen …
Das erwähnte andere Leben ist offenbar ein Leben im Jenseits, im Paradies, in dem der Pianist seine Liebe wiederzufinden hofft und in dem nach der Wiedervereinigung (so wohl die Sehnsucht) seine Liebe erwidert und sich das Glück einstellen würde. Dieses würde dann wiederum zum Gegenstand, zum Objekt, des Genießens.
Es klingt hier bei Coetzee so, als sei Genuss etwas, das sich vom Glück selbst abtrennen bzw. von diesem unterscheiden lässt, zumindest sprachlich. Es gibt eine Art Glücksgenuss, Genuss des Glücks bzw. Glücklichseins. Und noch genauer betrachtet: Genuss wird getan, schließlich wird hier ein Verb, genießen, verwendet.
Das Glück ist bereits da, in einem bestimmten Sinne, es hat sich eingestellt, hier wohl: durch die Wiedervereinigung im Jenseits, die erfüllte Liebe. Doch das reicht vielleicht noch nicht für die Vollendung!? Es scheint erst noch etwas hinzukommen zu müssen, nämlich das Genießen, der Genuss des Glücks, damit – ja, damit was eigentlich?
Vielleicht ist etwas gemeint wie: Wir können des erlangten Glücks gewahr werden, es wahrnehmen, bemerken, realisieren, erleben. Und dieses Tun ist selbst lustvoll, verschafft uns (weiteren) Genuss.
Empfindungs- oder Zufallsglück?
Vielleicht meint Coetzee hier aber gar nicht ein derartiges angereichertes Glück, kein Empfindungsglück oder Erfüllungsglück, sondern ein Zufallsglück. Im Diesseits war ihnen die Liebe noch verwehrt (das sprichwörtliche Pech gehabt), im Jenseits aber haben sie Glück, ist der Zufall ihnen hold. Und dieser Zufall, diese günstige Fügung, wird genossen. Andere Textstellen sprechen allerdings eher gegen diese Interpretation.
Wie dem auch sei.
Auch jenseits dieses Textes von Coetzee, losgelöst von ihm, finde ich die Formulierung das Glück genießen anregend. Sie deutet in meinem Verständnis darauf hin, dass der Zustand des Glücks, oder besser: des Glücklichseins, gewissermaßen von außen betrachtet werden kann (wenn wir ihn uns achtsam vergegenwärtigen) und dann ein zusätzliches freud- und lustvolles Wohlgefallen bewirkt. Eine ähnliche Position vertrete ich auch in meiner eigenen Definition des Glücks.
Weitere Glücksimpulse gefällig? Hier sind sie:
- Vom Glück der Hingabe
- Ein Cwtch macht glücklich!
- Glück bei Erich Fried
- Glück bei Tomas Espedal
- Die Börse und das Glück
Foto: Pixabay
In der Elfi die 2. Symphonie von Mahler hören und erleben, das nenne ich das Glück geniessen. Ein großes Hörerlebnis.